Das Hochschul Informations System (HIS) befragte im Auftrag von Zeit-Campus Studierende unterschiedlicher Fächer unter anderem danach, was für sie im Leben wichtig sei. Prompt kam heraus: Familie
stünde über Karriere, Partnerschaft und Freundschaft wiegen mehr als eine dicke Lohntüte (Willige, 2008). Seit 2006, als die Continental-Studentenumfrage veröffentlicht wurde, scheint sich also
offensichtlich einiges geändert zu haben. Diese Untersuchung ergab nämlich genau das Gegenteil: Karriere hatte bei Studierenden danach einen höheren Wert als die Familienplanung (Continental,
2006).
Die Zeit (Ausgabe 7. August 2008) ergänzte die Ergebnisse der HIS-Studie (Willige, 2008) durch einige Beobachtungen bei Studierenden: Viele Tätowierte, viele mit Verlobungsring, einige bereits
verheiratet. Dem Zeit-Autor zufolge kann darin die Sehnsucht junger Studierender nach etwas Bleibendem, Überdauerndem oder meinetwegen etwas Festem in einer sich rasant ändernden Welt gesehen
werden, die eher zu mehr Verunsicherung beizutragen scheint, als dass in den Veränderungen auch Chancen gesehen werden. Das ist schade, für die Studierenden aber gut für Tattoo-Studios, Juweliere
und vielleicht auch für die demografische Uhr, deren Ablaufen in der ersten Welt fast schon prophetisch angekündigt wird – wir werden nämlich immer älter, was für eine Erkenntnis! Vielleicht sind
es aber auch gar nicht die rasanten Veränderungen der Welt oder die Verunsicherung bei den Studierenden, sondern sie sind möglicherweise schlauer als wir es waren, als wir die Schul- und
Hörsaalbank drückten.
Hinweisen auf diese Annahme wird im Folgenden nachgegangen. Zunächst wird allerdings eine grobe Einteilung Studierender nach Studienfach anhand äußerer Erkennungsmerkmale versucht, wie sie noch
in den 1990er Jahren weitgehend valide war. Soweit dies gelingt, werden mögliche Parallelen zur heutigen Zeit aufgezeigt. Eine größere Schlauheit heutiger Studierender wird anhand folgender
Merkmale festgemacht: Eine zeitige Festlegung auf einen Lebenspartner und ein schleichender Rückzug aus dem gesellschaftlichen und politischen Engagement. Auch davon ausgehend, werden
Querverbindungen zu zurückliegenden Studierendengenerationen, insbesondere zu meiner eigenen der späten 1990er Jahre und frühen 2000er, gesucht.
Ein ziemlich treffsicheres Erkennen der Studienrichtung von Studierenden anhand äußerer Merkmale war noch in den 1990er Jahren mit etwas Übung relativ einfach. Maschinenbauer beispielsweise
trugen unstrukturiert ausgewaschene Karottenjeanshosen, Karo- oder manchmal sogar Holzfällerhemden und waren fast immer besoffen, wenn man ihnen außerhalb des Hörsaals begegnete (Karohemd und
ständig blau, der Mann studiert Maschinenbau). Mediziner hatten schon in den ersten Studienjahren etwas Erhabenes in ihrer Gestik und Mimik. Dies spiegelte sich aber leider nicht in ihrer
Kleidung wieder. Zudem sahen sie oft fertig aus und hatten dunkle Augenränder. Bauingenieure und Sportstudenten ähnelten einander im Äußeren. Sie waren drahtig, hatten kurze Haare und waren sehr
diszipliniert. Allerdings hatten auch sie einen nicht zu unterschätzenden Hang zum Alkohol und waren zumeist Kettenraucher. Typisches Erkennungsmerkmal von Sozialwissenschaftlern war es, dass man
sie überall antraf, nur nicht bei Lehrveranstaltungen. Sie waren neben Medizinern die einzige Studierenden-gruppe, die fundierte Drogenerfahrungen hatte und sie sahen sehr alternativ aus.
Sozialwissenschaftler waren zudem überdurchschnittlich stark politisch engagiert und fanden sich in allen wählbaren Hochschulgremien (z. B. Fachschaftsräte oder ASTAs).
Wie sieht es heute aus? Viele Beobachtungen des Zeit-Autors scheinen zuzutreffen. Eine verlässliche Einteilung der Studierenden gelingt mir zumindest nicht mehr ohne weiteres – auch nicht mit
Übung. Es kann also durchaus passieren, dass man einem Studenten gegenüber steht, der zwei Meter groß ist, Muskeln hat, die ziemlich eindeutig auf die Einnahme irgendwelcher Masthilfen hinweisen
und der tätowiert ist, wie ein alter Seemann. Auf Nachfrage nach dem Studiengang ist ein piepsiges Sozialpädagogik dennoch nicht unwahrscheinlich. Zu meiner Studentenzeit hätte ich den in die
Sportler- oder Bauingenieurecke eingeordnet. Auch Sozialpädagogikstudentinnen hatten noch in den 1990er Jahren häufig folgendes Erscheinungsbild: Stark behaart, anstrengender Körpergeruch, kein
BH, Wickelröcke und stets irgendeine vegane Pampe (selbstgemacht) in Einweckgläsern an der Frau. Heute sind dagegen sehr viele Studentinnen, egal aus welchem Fach, bauchfrei, haben ein
Arschgeweih, schwarz gefärbte Haare und eine langweilige Solariumbräune. Das kann natürlich auch am Hochschulstandort selbst liegen, aber die Veränderungen sind auffällig.
Die Beobachtung, dass Verlobungsringe immer häufiger an Studierendenhänden zu sehen sind gibt Hinweise darauf, dass sich Studierende heute zeitiger und fester an einen Partner zu binden
versuchen. Auch wenn die ehemalige Studentengeneration, also auch ich, so langsam aber sicher unter der (zumeist einen) Haube ist, hat der Weg dorthin in meiner Erinnerung länger gedauert und
forderte mehr Verschleiß. Das kann unterschiedliche Gründe haben. Wahrscheinlich ist die heutige Studierendengeneration ja in diesem Punkt tatsächlich schlauer als meine eigene. Man braucht heute
keine 30-40 Anläufe mehr um sich endgültig klar zu werden, dass nach spätestens vier Wochen jede Beziehung zwischen Mann und Frau in einem Meer aus Blut und Sperma endet. Wenn sie überhaupt so
lange dauerte. Offenbar wird dieser Tatsache heute schon nach wesentlich weniger Anläufen Glauben geschenkt. Auch ich bin mittlerweile überzeugt davon, dass dies stimmt. Das frühe Eingehen fester
Beziehungen zwischen Studierenden lässt sich unterschiedlich interpretieren. Wahrscheinlich ist, dass in der Beziehung zwischen zwei Menschen offenbar als etwas Dauerhaftes, Beständiges und Halt
gebendes gesehen wird, das als umso sicherer wahrgenommen wird, je mehr Versprechen man sich für die Lebenszeit gibt.
Diese Sehnsucht zeigt sich aber auch in allerlei körperlichen Verunstaltungen, wie z.B. in 0815-Tattoos. Während man einen lästig gewordenen Partner, ob mit oder ohne Verlobungsring, relativ
einfach wieder loswird, ist das beim Tattoo nicht mehr so easy. Im Tätowieren kann also tatsächlich ein Weg gesehen werden, etwas Bleibendes zu schaffen. Das ist auch viel einfacher als daß von
meiner Elterngeneration propagierte Bäume pflanzen, Häuser bauen und Kinder kriegen. Die Überlegenheit der derzeitigen Studierendengeneration zeigt sich somit auch darin, Schwierigkeiten aus dem
Weg zu gehen zu können und klare, nicht ohne weiteres rückgängig zu machende Werte am eigenen Körper zu schaffen.
Abschließend deutet auch der dargestellte gesellschaftliche und politische Rückzug von Studierenden auf die Gewieftheit der heutigen Generation hin. Bis ein Großteil meiner eigenen
Studierendengeneration so weit war, hat das sehr lange gedauert und war mitunter auch schmerzhaft. Viel verpasst ihr jungen Studierenden also nicht, wenn ihr mit diesem Blödsinn gar nicht erst
anfangt – außer vielleicht dummes Gewäsch von großen gesellschaftlichen Umbruchplänen, statistische Phrasen und Revolutionsrethorik. Letztlich endeten pseudopolitische Abende in liebgewonnener
Regelmäßigkeit entweder in der Kneipe, der Notaufnahme oder einer Polizeiwache, in der man seine eigene Mutter kleinlaut am Telefon bitten muss, die eigene Identität zu bestätigen. Geändert hat
das nichts, nichts ist schlechter, nichts ist besser als in den 1990er Jahren (außer vielleicht die Musik).
Als Fazit kann festgehalten werden, dass sich scheinbar tatsächlich ein Umbruch in den Werten von Studierenden innerhalb weniger Jahre vollzogen hat. Ob dieser Wandel aber tatsächlich weg von
Karriere und hin zur heilen Familienwelt Bestand haben wird, zeigen wohl erst die nächsten Jahre. Zumindest werden bereits in der frühen Studienzeit Nägel mit Köpfen gemacht, die den Wunsch
erkennen lassen, in einer komplizierten Welt einfache Antworten zu finden oder der Komplexität einfach die kalte Schulter zu zeigen und sie gehörig zu ignorieren. In diesem Punkt kann meine
Generation Studierender der 1990er Jahre tatsächlich etwas lernen. Unsere Versuche, Ordnung zu schaffen oder Dinge zu verändern, mündeten nicht in einer besseren Welt, sondern in einer, die
einfach so blieb, wie sie war. Und weil das so zu sein scheint, kann man die Welt auch mal ein Stück weit ignorieren und es sich selbst schön machen. Wenn das viele Menschen machen, wird sich
vielleicht über mehr Zufriedenheit, Gelassenheit und Entspanntheit mehr verändern, als durch kopflastige Phrasendrescherei. ( Don Locko)
Quellen:
Continental (2006). Continental-Studentenumfrage.
Willige, J. (2008). Glück und Zufriedenheit Studierender. Online Befragung Studierender im Sommersemester 2008. In: Hochschul Informations System (HIS) (Hrsg.), Hibus Kurzinformation Nr. 20.
Hannover.