Katholiken

Katholiken machen zwischen Aschemittwoch und Ostern eine Fastenzeit, in der sie keinen Alkohol trinken und auf das Essen von Fleisch verzichten, und ich mache, obwohl ich kein Katholik bin, seit ein paar Jahren mit.

Das erste Mal war schrecklich. Begonnen hatte es, als mir meine Freundin davon erzählte, dass mein Freund Don Locko etwas macht, das ich doch auch machen könnte. Ich dachte dabei an die üblichen Dinge, die Don Locko üblicherweise so macht, und da es meiner Freundin anscheinend so wichtig war, versprach ich etwas ohne über die Konsequenzen nachzudenken und als das schreckliche Wort Alkoholfasten fiel, war es zu spät.

So begann dann die Fastenzeit. Das ist eine unerträglich lange, trostlose Zeit, da gibt es nichts zu beschönigen. Der Verzicht auf das Fleisch fällt leicht, der Verzicht aufs Bier nicht. Die Katholiken, die dies mitmachen gehen jedes Jahr für sechs Wochen buchstäblich durch die Hölle. Das dachte ich jedenfalls, bis ich erfuhr, dass Gott es trotz Fastenzeit erlaubt, sich jedes Wochenende für einen Tag (zum Beispiel nur Freitag und nicht wie bei Katholiken üblich freitags und Sonnabend) bis zur Besinnungslosigkeit zu betrinken. Das liegt daran, dass Jesus ein paar Tage weniger in der Wüste unterwegs war als die Fastenzeit lang ist. Das hat ein kluger Katholik allein durch die Anwendung der Mathematik herausgefunden und mich wieder mit Gott versöhnt, denn ein Gott, der einem bei der Auslegung der Regeln so viel Spielraum erlaubt, ist vielleicht gar nicht so grausam, wie ich immer glaubte.

Es gibt auf der Erde ein paar größere Religionen, die zurzeit praktiziert werden. Darunter sind Atheismus, Buddhismus, der Monotheismus und der Hinduismus. Atheismus und Buddhismus kommen ohne Gott aus, der Monotheismus besitzt genau einen Gott (daher auch der Name) und der Hinduismus braucht zur Erklärung der Welt über 100 verschiedene Götter.

Ich kenne Atheisten, die nicht an die Seele glauben und für die ein Mensch nicht mehr als eine biologische Maschine ist. Diese Art Atheismus hat mit Glauben zu tun und ist deshalb eine weitere Art von Religion. Geglaubt wird nicht mehr an einen Gott, sondern an eine Turingmaschine. Die Heilslehre dieser Religion besagt, dass es eines Tages eine auf Kupferleitungen und Transistoren beruhende Turingmaschine gibt, die uns ähnlich sein wird. Dieser Zeitpunkt ist für die Gläubigen dann so etwas, wie das Jüngste Gericht im Christentum. Vielleicht ist es auch nicht so schlimm und an irgendetwas muss man ja glauben. Ich bin da tolerant, meinetwegen können die Atheisten an diesen Quatsch glauben, doch spätestens dann, wenn darüber fabuliert wird, dass man eines Tages sein Bewusstsein in eine solche Maschine hochladen und damit den Tod besiegen kann, ist man einem gefährlichen Irrglauben aufgesessen, der Menschen das Leben kosten kann.

Der Atheismus ist also Unsinn und am Buddhismus und Hinduismus stört mich der Glaube an die Widergeburt. Bleibt also nur der Monotheismus. Der ist noch einmal aufgeteilt in Judentum, Islam und die christliche Religion, mit ihren Ausprägungen, wie Katholizismus und Protestantismus.

Nach den schlechten Erfahrungen, die ich mit den Evangelikalen in den USA hatte, erschien mir für eine Zeitlang die katholische Kirche die bessere der christlichen Kirchen zu sein, denn nur dort durfte ich für meine Frauen ein paar Kerzen anzünden. Den Evangelikalen ist nämlich so etwas wie das Anzünden einer Kerze in einer Kirche bereits zu katholisch und irgendwie müssen sich die Kirchen ja voneinander unterscheiden. Zumindest hassen sie sich nicht, denn auf die Frage mit den Kerzen wurde mir in einem der Gotteshäuser der Evangelikalen mit "Da müssen sie zur katholischen Kirche gehen" geantwortet. Und dann erfuhr ich dort sogar, wo die einzige katholische Kirche des gesamten Stadtbezirkes steht, nämlich in einem riesigen Einkaufszentrum. Da hätte ich auch selbst darauf kommen können, denn ich befand mich in Amerika. In der kleinen Kapelle war es dann sehr schön. Man konnte sich sogar einbilden an dieser Stelle Gott ein wenig näher zu sein als in den anderen Etagen des Einkaufszentrums.

Meine eigene Religion ist nur bedingt mit dem Katholizismus kompatibel und beschränkt sich darauf, dass ich daran glaube, dass ich eine Seele habe und sehr wahrscheinlich in meinem Leben nie eine wissenschaftliche Antwort auf die Frage, was eine Seele ist, bekomme. Eine Seele ist für mich etwas, was das Lebendige von toten Gegenständen und uns Menschen von Maschinen unterscheidet. Mehr weiß ich nicht darüber. Tote Dinge können nicht lebendig werden und es wird immer Dinge geben, in denen der Mensch besser als die Maschine ist. Die Arbeit der Mathematiker kann zum Beispiel nie vollständig durch eine Maschine ersetzt werden, denn eine endliche Maschine hat keine Vorstellung von der Unendlichkeit und versteht alle Formeln nicht, die etwas mit Unendlich zu tun haben. Und das sind sehr viele.

Bevor ich mit dem eigentlichen Text beginne, muss ich etwas gestehen. In meinen Bemühungen, mich umfassend über alles zu informieren, habe ich mir ein feministisches Buch erworben und es begeistert an einem Tag ausgelesen. Jetzt denke ich anderes über das Patriarchat und über die patriarchale Religion, die ich kenne, nämlich den Katholizismus.

Zur Vorgeschichte gehört auch, dass mein Verhältnis zu Gott seit einiger Zeit nicht das Beste ist. Genauer gesagt, seit 15 Jahren. Damals hatte meine Frau einen Knoten in ihrer Brust ertastet und Angst, dass es Krebs sein konnte. Ein paar Tage vor der Untersuchung bei ihrer Frauenärztin, kann sie total aufgeragt ins Haus gelaufen und erzählte mir davon, dass sie gerade mit Gott geredet und einen Pakt geschlossen hat. Sie hört auf mit Rauchen, dafür sorgt Gott dafür, dass es kein Krebs ist. Das klappte gut, denn die Untersuchung mit Ultraschall fand nichts Schlimmes. Mammographie wäre genauer gewesen, aber sie war auch teurer und damals hat die Krankenkasse diese Art Krebsvorsorgeuntersuchungen erst ab 40 bezahlt. Meine Frau war froh, ich war etwas beruhigt. Ein paar Wochen später fing meine Frau wieder mit dem Rauchen an. Mir war etwas unwohl dabei, aber das war die Art, wie meine Frau mit Gott kommunizierte, und wer meine Frau kannte, wusste das das genau ihrem Wesen entsprach. Sie ließ sich von niemanden vorschreiben, was sie zu tun hatte. Nicht einmal von Gott.

"Ich habe ihn ausgetrickst. Ich habe eine Wette mit ihm gemacht." sagte sie, nachdem ich sie beim Rauchen erwischte und darauf hinwies, dass dies eindeutig Vertragsbruch war. Jeder Gott, der etwas auf sich hält und meine Frau gekannt hätte, hätte alles in die Wege geleitet, um zu verhindern, dass jemand auf den völlig unsinnigen Gedanken kommt, der Krebs und das Versprechen hätten etwas miteinander zu tun. Spieltheoretisch war das hochinteressant. Wenn meine Frau tatsächlich mit dem Rauchen aufgehört hätte, hätte Gott weiterhin gewürfelt. Aber da sie wieder mit dem Rauchen angefangen hat, hatte sie Gott eine Falle gestellt.

Nach einem halben Jahr stellte sich heraus, dass es doch Krebs war. Es war ein Freitag und wir hofften auf die Biopsie am Montag. Dort wurde Gewebe entnommen und analysiert. Natürlich war es Krebs und natürlich wussten wir das auch schon am Freitag der Untersuchung, denn da hatte uns genau dies der Arzt ziemlich deutlich gesagt. In solchen Momenten klappt das Verständnis der Wahrscheinlichkeiten nicht mehr. Ich persönlich habe mehrfach Situationen erlebt, in denen ein sehr, sehr unwahrscheinliches Ereignis eingetreten ist. Warum nicht auch diesmal. Sagt dann eine Stimme im Kopf.

Es gibt eine noch seltsamere Geschichte dazu. Der Lieblingssänger meiner Frau war Tom Waits, und dieser Tom Waits spielte den Teufel in einem Film, der ein Jahr nach dem Tod meiner Frau im Kino lief. In der Story ging es um einen Pakt den der Teufel mit einem überaus sympathischen Betreiber eines Art Zirkus gemacht hatte und den der Teufel, immer dann, wenn er eigentlich gewonnen hätte durch eine andere Wette ersetzte, nur weil er die Gesellschaft des Menschen genoss und das Spiel mit den Wetten liebte. Zusammengefasst war der Teufel in diesem Film also sympathischer als der Gott meiner Realität. Kein Wunder, er wurde ja auch von Tom Waits gespielt.

Das alles machte mein Verhältnis zu Gott nicht unbedingt besser, aber eigentlich habe ich kein grundsätzliches Problem mit ihm. Und auch seinen Vertretern auf Erden verzeihe ich manches, denn ich kenne ein paar echte Katholiken, und die sind sehr nett. Ein Problem habe ich auch nicht mit seinem Sohn. Das war sicherlich ein sehr kluger und freundlicher Mensch und seine Geburt hat Gott besänftigt und friedfertiger gemacht. Ich erinnere mich mit Grauen an Horrorgeschichten aus dem Alten Testament, wo Gott tausende unschuldiger Menschen ermordete, oder Menschen, um ihren Glauben zu testen, den Befehl gab, ihre eigenen Kinder zu töten. Von all diesen Horrorstorys liest man nichts mehr im neuen Testament. Stattdessen ist viel von der Liebe die Rede. Und wenn dort Horror beschrieben wird, dann ist er menschengemacht.

Es ist nicht Jesus, sondern seiner Entstehungsgeschichte, an der ich als Wissenschaftler großen Zweifel habe. Die meisten Katholiken glauben nämlich, dass Gott der biologische Vater von Jesus ist. Das begründen Sie dann damit, dass die Biologie nicht ausgetrickst werden kann. Es gibt unzählige theologische Abhandlungen darüber, die diese komplexe Thematik aus verschiedensten Gesichtspunkten betrachten, aber grob zusammengefasst geht die Erklärung so: Weil Maria als Frau eine Gebärmutter besitzt, und Jesus der Sohn Gottes ist, kann Gott nur männlich sein.

Was viele Katholiken nicht wissen, die Wissenschaft der Biologie kennt eine sehr viel einfachere Erklärung für Marias unbefleckte Empfängnis, nämlich Eizellen und Spermien und eine damals sehr verbreitete Notlüge bei ähnlichen Situationen. Apropos Biologie. In dem feministischen Buch habe ich erfahren, dass das männliche Spermium nur etwa zehn Prozent zum Erbgut des leiblichen Kindes beiträgt. In diesem Buch stand auch, dass die Menschen früher glaubten, das Erbgut des Kindes enthält nur die DNA des Vaters und die Gebärmutter ist nichts weiter als eine Art Brutstation.

Typische männliche Selbstüberschätzung. Eben typisch Patriarchat. Und weil im Patriarchat bestimmte Dinge nicht in Frage gestellt werden, glaubten die Menschen in Europa noch vor 150 Jahren überwiegend an diesem Quatsch. Und damit auch daran, dass in Jesus zu einhundert Prozent Gott steckt. Nur zum Vergleich. Dieses Verhältnis hat sich über einen sehr langen Zeitraum erst auf fünfzig und dann auf etwa zehn Prozent verändert. In Jesus steckt also nur sehr wenig Gott, genauer gesagt zehn Prozent. Das ist vergleichbar mit der FDP, die seit ihrer Gründung mit etwa diesem Prozentsatz im Parlament vertreten ist, und manchmal auch wichtige Dinge entscheiden darf.

Gott ist etwas, das, wenn man den Geschichten aus der Bibel Glauben schenkt, das größte und allmächtigste Ding der gesamten Welt ist. Größer und allmächtiger und fremdartiger, als wir es uns jemals vorstellen können. Die einzigen Grenzen, die selbst Gott in seiner Allmacht nicht antasten kann, sind die Aussagen der Mathematik.

An dieser Stelle habe ich kein Mitleid. Das hätte Gott wissen müssen und deshalb muss er mit den Konsequenzen leben. Selbst schuld. Wer eine Welt erschafft, in der es Dinge gibt, die die Eigenschaft "Existenz" besitzen, hat schon die erste Zahl, nämlich eins in die Welt gesetzt. Und von da aus kommt man allein durch Nachdenken zur zwei und landet bald bei komplexen Zahlen, der Unendlichkeit und der Logik, die solche Fragen erlaubt, wie "Kann ein allmächtiger Gott einen Stein erschaffen der so groß ist, dass Gott nicht in der Lage ist, ihn anzuheben?". Auch hier hat also die Allmacht Gottes Grenzen, denn die Logik hat bewiesen, dass der Begriff "allmächtig" zu logischen Inkonsistenzen führt und Gott deshalb nicht allmächtig sein kann.

Mathematik schlägt alles, sogar Gott. Und das ist gut so.  (Erp Trafassel)