„Ich trennte mich von meinem Oberlippenbart.“ Heiter bis Wolkig
Als ich mir neulich einen hübschen Oberlippenbart wachsen ließ, um damit für junge Mütter und deren Freundinnen noch attraktiver zu werden, war meine eigene Frau gar nicht begeistert. Ihr
missfiel das gute Stück mit jedem Tag mehr.
Mein bester Kumpel jedoch, ein bekennender Schöngeist und Lebemann, fand sofort Gefallen an meiner Idee und neidete mir den Pornobalken fortan bei jeder Gelegenheit. Ganz wirkungslos war er
offensichtlich nicht. Als mir eines schönen Tages ein junges, blondiertes, tätowiertes und solariumiertes Fräulein mit freundlichem Lächeln eine Tür im Einkaufscenter aufhielt, fühlte ich mich
endlich angekommen in der Welt der Lackaffen und Schnösel. Die Damen in unserem Freundeskreis zeigten sich ebenfalls beeindruckt und verglichen mich sogleich mit bekannten Profikillern und
Drogenbaronen aus ihren Videosammlungen. Was so ein bisschen zusätzliches Fell doch aus einem Menschen machen kann.
Zugegeben, das Teil sah wirklich Scheiße aus, sogar in meinem ebenmäßigen Gesicht. Da es sich jedoch in erster Linie um eine Art Experiment handelte, wollte ich den Schnauzer eine Weile gewähren
lassen und den Fortgang der Ereignisse beobachten. Sich einen Oberlippenbart wachsen zu lassen ist gar nicht so einfach. Und zwar nicht wegen dem Wachstum, das geht wie von selbst, sondern wegen
der Überwindung, derer es hierzu bedarf. Eigentlich war ich nämlich nie ein Freund der Rotzbremse gewesen und hatte Leute mit diesem Körperteil immer gemieden. Aber der Reiz des Bösen, des
Abartigen hatte sich plötzlich meiner bemächtigt. Zwar setzte ich mir einen ungefähren Termin, an dem ich dem Schauspiel ein Ende bereiten wollte, doch vorerst genoss ich den Nervenkitzel in der
Öffentlichkeit, das Taubheitsgefühl im Gesicht und die verdrehten Augen der Gefährtin.
Im Dienste der Forschung begann ich nun spazieren zu gehen, ich flanierte brutal auf Promenaden und beobachtete dabei die Passanten. Wie würden sie auf mein ungestaltes Äußeres reagieren? Und
tatsächlich. Öfter als jemals zuvor in meinem Leben wurde ich nach dem Weg gefragt, Touristen ließen sich Sehenswürdigkeiten von mir erklären und ältere Damen griffen sich zum Gruße an die
Krempen ihrer Hüte. Sicher erinnerte ich sie an ihre Väter und Onkel, die mit gepflegten Schnurrbärten für Kaiser und Führer in diverse Kriege gezogen waren und, nicht zu Unrecht, niemals
zurückkehrten.
Weshalb Frauen jeden Alters derart auf affektierten Haarwuchs reagierten, schien mir allerdings schleierhaft. Was regt sich in den sensiblen Geschöpfen beim Anblick eines jungen Mannes mit einem
solchen Gerät im Gesicht? Ist es der Hauch Nostalgie, der damit einhergeht? Verspricht das Ding besondere Fähigkeiten seines Trägers, wie Durchsetzungsvermögen, Standhaftigkeit und Integrität?
Und weckt es immer noch alte, verschollen geglaubte Sehnsüchte beim schwachen Geschlecht? Wahrscheinlich. Denn wo Vollbärte häufig ein wenig verkommen wirken, die Anwesenheit von Ungeziefer
vermuten lassen oder mit Speiseresten durchsetzt sind, zeigt der OLB wenigstens klare Linien und Konturen, er kommt einfach gepflegter daher. Trotzdem sieht er natürlich total bescheuert aus,
keine Frage.
Noch in den neunziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts sah man ihn regelmäßig auf Fußballplätzen, in Fernsehserien oder Baumärkten. Dann ging seine Population merklich zurück und er wurde nur
noch vereinzelt in Gesichtern von älteren Männern, durchaus mit Migrationshintergrund, gesehen. Leute mit Handfegern zwischen Nase und Mund sieht man in unserem Jahrtausend glücklicherweise
selten und hält sie deshalb bestenfalls für Randfiguren der Gesellschaft.
Mein eigenes Experiment ging trotzdem tapfer seinen Gang. Die Frau wetterte immer entschiedener gegen meinen Bewuchs. „Du siehst genauso aus wie die Leute, die du ständig als Assis beschimpfst.“
Sie lag damit natürlich nicht völlig verkehrt herum. Nur konnte sie die Tragweite meiner Untersuchung nicht ganz überblicken. Zugegeben, ich sah aus wie diese ferngesteuerten Individuen, aber was
ich dabei dachte und leise in meinen Kragen murmelte, das hätte die sicherlich erschüttert. Denn ich war immer noch Widerstandskämpfer, wenn auch gut getarnt.
Die Familie setzte sich weiterhin tagtäglich für eine Rasur ein, doch ich musste sie auf einen späteren Zeitpunkt vertrösten. Vorher wollte ich mit meinem Kumpel Urlaub machen und seinen Neid
auskosten. Ich schilderte ihm beim Grillen eine Begegnung, die ich kurz zuvor in einem Getränkefachmarkt hatte. Eine völlig fremde Dame mit ebensolchem Kinde riet mir unaufgefordert und dennoch
nachdrücklich zum Erwerb einer recht günstigen Biersorte in ihrer Umgebung. Meinen verstörten Blick quittierte sie mit „Kannste echt kaufen, schmeckt gut.“ und zeigte nochmals auf das Produkt
ihrer Wahl. Ich war sehr verwirrt und vermied jede weitere Reaktion. Doch mein Kumpel konnte mir den Sachverhalt sofort erklären. Er sprach den weisen Satz „Pack erkennt sich.“ und zweifelsohne
hatte er recht. Aber neidisch war er trotzdem. Das habe ich gesehen.
Kurz nach der Reise mit unseren Freunden war die Zeit endlich reif für Veränderungen. Ich betrat morgens forsch das Bad und rief: „Hinfort mit dir, du übler Geselle!“ Dann balbierte ich das
Haarteil mit aller Macht aus meinem Gesicht. Postwendend sah ich mindestens zwanzig Jahre jünger aus. Natürlich rasierte ich mich nicht nur wegen des lieben Familienfriedens und für die
Allgemeinheit, sondern vor allem aus gesundheitlichen Gründen. In den Barthaaren verfingen sich nämlich wochenlang zum einen die bösen Blicke meiner Angehörigen, aber auch allergisierende Pollen
setzten sich dort fest. Direkt unter dem Riechkolben eine reichlich ungünstige Angelegenheit. Und beim popeln gerieten häufig verirrte Haare mit ins betroffene Nasenloch. Und schwitzen tat ich
unter dem Schattenspender ebenfalls unnötig. Insofern gehört der Oberlippenbart wohl eindeutig in die Kategorie Winterfell. In der kalten Jahreszeit bewahrt er seinen armen Träger immerhin vor
Erfrierungen zwischen Maul und Zinken. Doch in der warmen Jahreszeit und im Allgemeinen erfüllt er, bis auf seine erwiesene Anziehungskraft auf zwielichtige Frauenzimmer keinen erkennbaren Zweck.
Immerhin eine Schlussfolgerung meiner Untersuchungen. Und das will doch mal etwas heißen! (HO)