Die Evolution

„Alles, was gegen die Natur ist, hat auf die Dauer keinen Bestand.“ Charles Darwin


Ein Kind in unserer Küche fragte neulich nach dem Fortsatz, weshalb auch immer. Die Eltern erklärten ihm den Wurmfortsatz, andere Fortsätze kennen wir nämlich nicht. Das Mama ihren schon lange abgegeben hätte und das alles ein Erbe aus unserer Vergangenheit sei.
Ich erläuterte ihm, dass der Mensch seinen Blinddarm und somit auch den Wurmfortsatz von den Kühen geerbt hätte. Also von den Wiederkäuern. Noch heute hört man die Leute schließlich häufig sagen: „Mein Mann ist ein Rindvieh!“ oder „Die Frau Schimmel ist eine blöde Kuh!“. Da kommt das nämlich her. Aus den Kühen wurden später Affen und aus den Affen wurden Menschenaffen und in einer anderen Abteilung Menschen. So war das.
Doch nun noch mal ganz von vorne erzählt. Am Anfang war das Nichts. Nach einer gewissen Ewigkeit wurde dem Nichts langweilig und es gab einen großen Knall und das Weltall war geboren. Alles trieb ein bisschen auseinander, die Sonnen sonnten und eine Menge Krempel schwirrte drum herum. Der Schlamassel verklumpte sich zusehends und gründete dabei Planeten. Einer davon war die Erde, ein Planet der Klasse „M“ mit dem richtigen Abstand zur Sonne. Der neue Masseschwerpunkt kochte viele Millionen Jahre so vor sich hin, geschmolzener Dreck verkleisterte und brach wieder auseinander, kilometerhohe Fontänen schossen in den Himmel, der noch gar keiner war und klatschten zurück in die gleißende Glut. Hin und wieder krachte ein mittelgroßer Meteorit in das Inferno und verwüstete das Chaos zusätzlich. Überall war Feuer, Lava und stinkender Qualm. Jeder Zuschauer hätte unweigerlich denken müssen: Das wird doch nichts, hat keine Zukunft, keine Perspektive.
Mit den Einschlägen aus dem All gelangte manchmal gefrorenes Wasser auf die Erde, schmolz und sammelte sich an. Und irgendwann kam der Regen und damit viele Pfützen. Wie immer. Aus denen wurden im Laufe der Zeit riesige Ozeane. Aus der giftigen Suppe spross irgendwann etwas lebendiges, ekliges. Die ersten kleinen Dinger wurden Bakterien. Sie entwickelten sich weiter zu Mehrzellern - Algen, Schwämmen und Quastenflossern. Erst schwamm das Leben nur im Wasser, dann ging es an Land, wurde zu Pflanzen und Dinosauriern. Aus den Pflanzen wurden noch mehr Pflanzen und die Dinos wuchsen sich gegenseitig über die Köpfe, starben aus oder wurden zu Vögeln. Ihre Sache. Denn auf einmal war wieder alles kaputt. Weltuntergang. Kommt einem bekannt vor, oder?
Etwas später kamen die Säugetiere in Mode. Die wurden immer größer, wurden zu komischen Elefanten, zu Riesenfaultieren und Säbelzahntigern, kennt man auch. Irgendwann gab es frühe Kühe, aus denen wurden circa zwölfhunderttausend Jahre später Affen und plötzlich - zack! – Menschen. Letztens kam im Kulturfernsehen ein Bericht, demzufolge die ersten Menschen im knietiefen Wasser entstanden sind  - beim Fische und Muscheln sammeln. Dies zwang sie, aufrecht zu gehen und an den Hüften Fettpölsterchen anzulegen. Vor allem die Weibchen. Wegen der Kälte des Wassers. Vermutet man. Und sieht man heute noch.

Die Menschen gingen jedenfalls immer aufrechter und breiteten sich über die Erde aus, von Afrika aus über Europa und Asien bis nach ganz oben, nach unten und bis hinten um die Ecke. Sie zähmten das Feuer, rotteten Neandertaler und Mammute aus, lernten effektiver zu kommunizieren und zu streiten. Den Streit staffierten sie mit Waffen aus, um sich gegenseitig den Gar ausmachen zu können. Sie erfanden Gott, die Kultur, den Fortschritt, die Politik und die Gleichstellung der Frau. Aus Gott wurde die USA, aus der Kultur ein Witz, der Fortschritt wurde relativ und aus der Politik und der Gleichstellung der Frau wurde die Kanzlerin Merkel.
Die Streitkultur nannte sich inzwischen Demokratie, in der man über Krieg und Frieden abstimmen konnte. Zwar wurde dabei jedes Thema von bezahlten Figuren so lange totgelabert, bis auch der intelligenteste Mitbürger das Interesse verloren hatte. Dennoch sollte die Volksherrschaft allen Völkern ein Vorbild sein und man trug sie mit wehenden Fahnen durch die Welt, um sie den unterentwickelten Stämmen mit Gewalt und Entwicklungshilfe ans Herz zu legen. Die Vorräte wurden derweil langsam knapp, Quellen versiegten, Taschen und Mäuler blieben leer - ein weiterer Grund, sich gegenseitig in die Luft zu jagen.
So lebten die Menschen weiter bis heute Abend. Sie trieben Handel, führten Kriege und ruinierten die Erde, so gut sie konnten. Für die Zeit nach der Erde erfanden sie noch schnell das Internet, damit ihnen ohne Natur und frische Luft nicht langweilig würde. Doch nun hatte es die Evolution endgültig auf die Spitze getrieben und sie versank in Trübsinn und Lethargie, sie begann zu trinken, wurde hinfällig und verstarb unerkannt inmitten des um sich greifenden Verfalls. Dies war das Ende jedweder Weiterentwicklung lebendiger Wesen auf dem Planeten Erde. Alles ging fortan nur noch den Bach runter. Doch den Menschen war das egal. Sie hatten mit sich selbst genug zu tun. Schade eigentlich. (HO)