„El Senderista“ (Trio Zapatista)
Wandern ist schön. Man sieht Land und Leute, schnuppert ein wenig am Alltag der ortsansässigen Flora und Fauna und kriegt ganz nebenbei die langweilige Urlaubszeit rum. Dort, wo es von
atemberaubenden Landschaften nur so wimmelt und der Platz nicht mehr für größere Städte inklusive monströser Sehenswürdigkeiten und ganztägig geöffneter Souvenirläden reicht, bleibt einem ohnehin
nichts anderes übrig.
Irgendetwas muss man ja schließlich machen, wenn man schon mal da ist. Also wandert man einfach drauf los. Und damit man nicht so alleine durch die Gegend stapft, umgibt man sich fröhlich mit
Frau und Kind oder, besser noch, mit einem guten Freund und erfahrenen Wandersmann. Dieser übernimmt denn auch gönnerhaft die nötige Routenplanung, faselt etwas von überschaubaren Entfernungen
und unmerklichen Höhenunterschieden und erntet darauf nur ein müdes Lächeln. Mich kann nichts erschrecken, ich habe den Brocken bestiegen und den Grand Canyon durchquert. Ich kann alles!
Nach dem Frühstück packen wir also die Taschen mit Proviant und Trinkwasser für unsere kleine Tagestour. Wir verabschieden uns herzlich von den Familien, die wohlweislich am Pool zurückbleiben
wollen. Auf diese Langweiler können wir blindlings verzichten. Richtige Männer zieht es hinaus in die Welt, die Berge und das Abenteuer. Sie wollen Wind und Wetter trotzen, sich anstrengen,
schwitzen und die Topographie besiegen. Sie binden das derbe Schuhwerk fest zu, schnallen den Gürtel eng und enger, schultern die schweren Rucksäcke und richten die Schirmmützen nach der Sonne
aus. Dann singen sie. Manchmal jedenfalls.
Wir fahren mit dem Bus von Los Llanos aus und erreichen den Ausgangspunkt der Wanderung in Fuencaliente eine Stunde später. Ich fühle mich frisch und tatengedrängt, wenn auch ein wenig ermüdet
von der langen Busfahrt. Die Wege sind schattig, der Boden ist weich, es duftet nach blanker Natur und ebensolcher Erholung. Ein paar Meter später wird der Pfad steiler, der Aufstieg beginnt –
Jugend voran - Reinhold Messner ist ein oller Zauselkopp!
Stetig führt der Schritt gen Norden. Nach einer halben Stunde halten wir kurz inne, lassen den Blick zurück schweifen und erfreuen uns am Erschauten. Nach vorne sieht man nicht so viel, da geht
es immer nur nach oben. Man muss sich die Kräfte eben einteilen. Solange wir uns im Wald befinden, brennt einem wenigstens nicht andauernd die doofe Sonne auf den Pelz. Als wir endlich die Kuppe
bezwungen haben, dämmert die traurige Wahrheit einer jeden Bergwanderung - dieser war lediglich der erste Aufstieg. Viele weitere werden folgen. Es geht ein Stück entspannter daher, etwas bergab,
doch dann wieder steil bergan. Der Höhenunterschied von knapp 1800 Metern lässt sich nicht verleugnen. Das hängt sich ganz schön an. Trotzdem ist die Gegend recht lauschig.
Wir gewinnen weiter an Höhe und wechseln langsam die Vegetationszone. Mit der Zeit wird es den Bäumen wohl auch zu anstrengend in der dünnen Luft, sie werden immer kleiner und seltener. Damit
vermindert sich unerfreulicher Weise der liebliche Schatten und die Sonne brennt einem nun unablässig auf Haut und Hut. Mit Mütze ist es zu warm, ohne Mütze erst recht. Ich komme mir vor wie
Emerson Brady. Der Vulkansand in dieser Mondlandschaft bremst die Schritte zusätzlich. Diese Anstrengung, dieser Kampf gegen die Elemente - atemberaubend.
Mein Wanderfreund stolziert derweil mit verschränkten Armen zielstrebig den Berg hoch. Das arrogante Schwein. Ich stolpere hinterher wie ein Dampfkochtopf, kurzatmig und wadenverkrampft, mit
knallrotem Kopf und blasser Lunge, fühle mit jedem Schritt die Zigaretten der letzten hundert Jahre. Körpertemperatur circa 50°C im Schatten. Wenn es welchen gäbe, meine ich. Aber nix da, ist
alles Asche hier. Tja, Fitness fetzt - wenn man sie hat. Doch ich spüre die finstere Rache der Couch. Was für ein Erlebnis. Die Landschaft kann mich mal am Arsch lecken. Und das Trinkwasser
reicht sicher auch nicht für den Rückweg. Warum habe ich mich bloß darauf eingelassen?
Zum Glück bin ich zäh wie Schlüppergummi. Ich kann nicht mehr, obwohl ich mich in der Blüte meiner Jugend befinde. Dies alles erinnert mich sehr an meine kurze Zeit im Dienste der
Landesverteidigung. Fortbewegungsarten im Gelände. Geröll und Staub, schwere Schuhe und Schweiß in allen Ritzen. Ich dachte, so etwas hätte ich hinter mir gelassen.
Mit vorletzter Kraft erreichen wir den etwas niedrigeren, der beiden Gipfel der Las Desadas. Endlich mal sitzen, in die Ferne blicken, Fotos machen und dann hurtig nach Hause gehen. Ist ja
wirklich toll hier, kann man nicht anders sagen. Die Passatwolken wippern unter uns herum, man sieht das ozeanische Meer und den Teide gegenüber. Aber war das die ganze Anstrengung wert? Es gibt
bestimmt schöne Postkarten mit diesen Motiven zu kaufen. Kann man sich sogar öfter ankucken oder an Tante Erna verschicken. Was soll´s.
Nach einem kurzen Rausch des Erfolges treten wir den Weg in Richtung Unterkunft an. Jetzt geht es natürlich größtenteils bergab, ist halt mal was anderes. Geraume Zeit später geraten wir wieder
in bewaldete Gefilde, in die Passatzone mit Nebel und ungewohnter Kühle. Das Reisethermometer meines Wanderführers zeigt nur noch 8°C an und trotzdem friert es mich in meinem nassen T-Shirt
nicht. Kein Wunder, denn wenn man die Außentemperatur degenerativ-proximal mit meiner Körpertemperatur verquirlt, erhält man sicher die Durchschnittswerte eines entspannten Mitteleuropäers. Im
Moment könnte ich mich immer noch an ein Fernwärmenetz anschließen lassen. Aber das haben die hier nicht.
Der Weg nach unten ist nicht weniger anstrengend, als der zum Gipfel. Ständig droht der Abgrund, der Absturz, der Bänderriss. Höchste Konzentration bei jedem Schritt ist erforderlich. Mein armes
krankes Herz. Die Streßdrüsen produzieren auf Hochtouren Adrenalin und eklige Sekrete. Bald sind alle Reserven verbrannt, Hunger und Durst melden sich zu Wort. Irgendwann liegt der Berg endlich
hinter uns und die letzten Kilometer stolpern wir auf Asphaltstraßen dahin. Das ist auch nicht so bequem. Ach Gott, immer dieses Gemecker.
Nach Ewigkeiten sind wir zurück in unserer Herberge bei El Paso. Ein kräftiges „Hurra!“ den tapferen Bergsteigern, denkt man. Wir haben immerhin die halbe Insel in Nord-Süd-Richtung durchquert
und dabei Höhenunterschiede bewältigt, die in großen Teilen der Welt gar nicht vorkommen. Andere Leute würden Bücher darüber schreiben.
Den Frauen und Kindern geht es ausgezeichnet, sie haben unsere Abwesenheit offenbar ziemlich genossen. Den Schilderungen von unserem heroischen Sieg über den Planeten schenken sie nur gelangweilt
Gehör. Doch wenigstens meine steifen Gelenke künden weithin sichtbar von unserer Aufopferung, von Drangsal und Mühe. Die Muskelkatze macht sich langsam startklar.
Die Exkursion ist damit beendet. Mein Gefährte und ich sitzen den Rest des Tages zum ausdünsten auf der Terrasse. Mit leichter Kost und einer Reihe kohlensäurehaltiger Kaltgetränke verhelfen wir
unseren geschunden Körpern zu ein wenig Regeneration. Humpeln können wir morgen noch. Salud! (HO)