Was ist eigentlich in den letzten Jahren besser geworden? Die Leipziger Buchmesse jedenfalls nicht. Dabei haben die Veranstalter nicht einmal Schuld. Es waren einfach die gesamten
Begleitumstände. Auch die persönlichen, und dafür konnte die Messeleitung am wenigsten. Wie hätte sie auch dafür sorgen können, dass jemand mitkam? Weder meine Tochter, noch meine kranke
Freundin, noch meine Freunde begleiteten mich. Einer davon antwortete auf meine Frage, ob er mitkommen möchte, mit "da sind doch nur Nazis".
Auch für das Wetter konnten die Veranstalter der Buchmesse nichts. Ich hasse den Winter und seine Begleiterscheinungen. Ich hasse Weihnachten, ich hasse den Schnee, die Kälte und das
Schneeschippen am frühen Morgen. Ich hasse das Skifahren und von harten Schneebällen getroffen zu werden. Mitte März war zwar fast Frühling, aber der böse Putin hatte am Abend zuvor in Gestalt
riesiger Schneemassen seine Trollarmee in Richtung Europa losgeschickt.
Das ist natürlich Unsinn. Selbst Putin kann das Wetter nicht beeinflussen, aber mein Lektor hat mich wegen der Suchmaschinenoptimierung darum gebeten, den Namen des russischen Präsidenten so oft
wie möglich in diesem Text zu verwenden. Vielleicht sind ähnliche Gründe für die Artikel anderswo ver-antwortlich, die Putin die Schuld am Syrienkrieg geben oder anderen Unsinn behaupten.
Der Plan war, mit dem Zug nach Leipzig zu fahren. Ganz wohl war mir bei der Sache nicht, immerhin hatte ich kürzlich aus einer dummen Bierlaune heraus beschlossen, bis Ostern keinen Alkohol zu
trinken, und allein Zugfahren ohne Bier kam mir irgendwie falsch vor. Zufälligerweise hörte ich im Radio von der Vollsperrung des Leipziger Hauptbahnhofes. Ich fuhr also mit dem Auto bis
Schönebeck, denn dort landete ich bereits im Stau und hörte dort im Radio von der Vollsperrung der A14. Na gut, so hatte ich wenigstens etwas Zeit, an diesem Artikel zu schreiben. Erlebt hatte
ich noch nichts, war aber durch meine bereits seit Ewigkeiten anhaltende Alkoholabstinenz genügend frustriert, um meine Mitmenschen mit den Schlechtigkeiten über diese Welt und die
Belanglosigkeiten meiner Reise nach Leipzig zu nerven. Dann löschte ich diese Belanglosigkeiten wieder, weil ich den Leser nicht langweilen will.
Der Rest meines Artikels über die Buchmesse würde wahrscheinlich recht kurz werden. Wer weiß, wann ich dort ankam? Ab und zu ließ ich den Motor an, um nicht zu erfrieren. Am Abend zuvor hatte ich
mich aus dem 200 Seitigen Mammutwerk, in dem alle Veranstaltungen der Buchmesse aufgezählt wurden, ein paar markiert. Die frühesten konnte ich bereits streichen.
Zum Glück wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wie schlimm es wirklich werden würde. Irgendwann kam ich dann aber doch an. Ich bekam sogar einen der begehrten Parkplätze in der ersten Reihe
und konnte die Jacke im Auto lassen. Der Eintritt war mit 16 Euro okay. Schade nur, dass fast alle mühselig am Abend zuvor von mir ausgesuchten Termine bereits vorbei waren. Eigentlich blieb
sogar nur einer übrig.
Im Eingang stand irgendwas mit "Taschen bitte an der Garderobe abgeben". Das machte ich aber nicht, immerhin hatte ich ein Buch meines Lieblingsautors dabei, das ich signieren lassen wollte. Erst
einmal musste ich mich um die wichtigen Dinge kümmern und eine Toilette finden. Die gibt es nämlich nicht an jedem Eingang. Zuerst fand ich eine sehr lange Schlange an Frauen. Eine nette Dame
erklärte mir dann, dass ich nur an der Reihe vorbeigehen müsste, um zur Männertoilette zu gelangen. Auch dort befanden sich einige Damen. Eine war als Comicfigur verkleidet und lungerte im Raum
mit den Pissoirs herum. Auch im Bereich geschlechtsneutraler Toiletten ist also Leipzig Vorreiter.
Ich mag Bücher und sehr viele der Autoren, aber ich hasse Menschenmassen genauso sehr, wie ich Schnee hasse. Meine leise Hoffnung, angesichts der katastrophalen Anfahrtsmöglichkeiten leere Hallen
vorzufinden, erfüllte sich nicht. Wegen des großen Besucherandrangs wurden die großen Glasgänge, die die Hallen mit dem Mittelbereich verbinden, als Einbahnstraßen geschaltet. Das wurde dann auch
jedem, sich blöd in Richtung Gang Bewegenden gesagt, also auch mir. Es gab nicht viele Durchgänge und der Weg zum nächsten führte durch eine neue Halle. So wurde ich zum Besuch der Comic-Messe
gezwungen, aber diesmal kaufte ich mir dort kein T-Shirt, denn ich hatte wenig Zeit.
Ein bekanntes Gesicht erblickte ich dann am MDR Stand. Es handelte sich um Dominique Horwitz, der einmal einen Weimarer Krimi geschrieben und auch in einem mitgespielt hatte. Ich mag Weimar und
dort spielende Krimis. Leider hatte ich keine Zeit, weil ich jetzt in Richtung Halle 3 aufbrechen musste. Unterwegs erbettelte ich einen Kugelschreiber vom Stand der Süddeutschen. Ich lese immer
die Onlineausgabe, log ich frech, weil ich kein Zeitungsabonnement abschließen wollte.
Mit Buch und Kuli hatte ich alles Wichtige für das Autogramm zusammen. Fehlte nur noch der Autor. Ich warf noch einen Blick in die Buchmesse App und überflog melancholisch die verpassten
Veranstaltungen. In der Ferne gab es Krawall und pöbelhafte Sprechchöre. Genau dort musste ich jetzt hin. Mein Plan war, mich eine halbe Stunde vorher, also um 17 Uhr zur Lesebühne zu begeben, um
dann um 17:30 Uhr vielleicht einen Sitzplatz zu ergattern.
Dort angekommen, wirkte zunächst alles unübersichtlich. Anhand der Trans- parente ließ sich die Situation aber bald recht gut einschätzen. Die Rechten trugen Plakate auf denen Meinungsfreiheit
stand und die Linken trugen ein blaues Stoffbanner, das ich nicht lesen konnte, weil ich bei den Rechten stand. Es gab ein paar verbale Gefechte, die nicht einmal beleidigend waren. Aufhänger war
stets die Behauptung, dass die Linken für ihren Protest bezahlt wurden. Als endlich etwas Ruhe einkehrte, forderten die Rechten die Linken auf, doch endlich mal etwas für ihr Geld zu machen, und
mehr zu "performen". Dann erbarmten sich die Linken und versuchten sich an Sprechchören. Hoffentlich würden bald beide Parteien etwas ruhiger werden. So wie es aussah, gab es keinen Platz im
Lesesaal und ich wollte doch etwas verstehen. Immerhin schaffte ich es durch meine Eigenschaften, die mich bei meinen Mitmenschen so beliebt machen (stoischer Gleichmut und rücksichtslose
Beharrlichkeit) zum Eingang. Vor mir standen drei sehr großen Menschen in Anzügen. Sie blickten freundlich, aber streng. Dann war die Vorveranstaltung zu Ende und ein paar Menschen wurden
eingelassen. Ich war nicht mit dabei. Etwas Unruhe kam auf, weil sich eine ältere Dame nach vorn drängelte. In der Hand hielt sie einen wichtigen Zettel. Sie sei seit morgens um sieben Uhr
unterwegs, nur um ihren Lieblingsautor Akif Pirinçci zu sehen, sagte sie sehr aufgeregt. Angeblich war der Zettel von der Messeleitung, aber die drei sehr großen Männer blieben unbarmherzig. Der
Raum sei voll, und alle Plätze belegt. Da kann man leider nichts machen. Die arme Frau tat mir leid. Sie stellte sich dann an die Seite, um wenigstens einen Blick auf ihr Idol werfen zu können.
Das machte ich dann auch, als unser beider Lieblingsschriftsteller auftauchte, um sein neuestes Werk zu präsentieren. Dabei handelte es sich um eine Zeitschrift für echte Männer und Frauen.
Er erzählte auch ein wenig aus seinem Leben und die tragische Geschichte zu seiner Pegida Rede. Immerhin, so meinte er, sei alles eingetreten, was er in dieser Rede prophezeit hatte. Falls sie,
verehrter Leser, damals nichts davon mitbekommen haben, möchte ich die Geschehnisse kurz zusammenfassen. Ein Satz dieser Rede war von einem Journalisten missverstanden worden. Die anderen
Journalisten fühlten sich in ihrer Meinung zu Akif Pirinçci bestätigt und schrieben ab, ohne sich die Rede anzuhören. Von da an nahm das Unheil seinen Lauf. Die sozialen Netzwerke kochten das
alles zu einem Shitstorm auf und zwangen Bertelsmann, den damaligen Verlag Akif Pirinçcis, zur Kündigung seiner bestehenden Verträge. Auch seine Schriftstellerkollegen spielten dabei eine sehr
unrühmliche Rolle. Irgendwann fiel jemand auf, dass der fragliche Satz ganz anders gemeint war, aber da war es schon zu spät. Heute kann man die Katzenkrimis nur antiquarisch erwerben, selbst die
E-Books wurden eingestampft. Interessanterweise sind die rechten politischen Bücher weiterhin problemlos erhältlich, nur die gute Belletristik ist der Empörung zum Opfer gefallen. Meiner Meinung
nach ein echter Verlust.
In der Fragestunde erklärte Akif Pirinçci, Genderforschung würde jährlich zwei Milliarden Euro an Steuergeldern kosten und dass die Genderideologen behaupten, dass auch Männer Kinder bekommen
können. Am liebsten mochte ich den Teil, in dem er über seine Schriftstellerkollegen und den Kulturbetrieb herzog. Und dazu hat er allen Grund. Die Verlage werden das durchleben, was zurzeit bei
den Zeitungen passiert. In fünf bis zehn Jahren wird es keine Bücher mehr geben und dann werden sie alle arbeitslos, freute er sich.
Zwischendurch wurde es wieder etwas lauter, weil die linken Protestierer von der Polizei abgedrängt wurden. Die Freude darüber bekundeten die Rechten, indem sie das Wort Deutschland in einer Art
Sprechchor ständig wiederholten. Dann, als ich endlich wieder etwas von der Veranstaltung hören konnte, war sie vorbei und ich durfte mein Buch zum Signieren vorlegen. Mein Vorgänger wünschte
sich, dass Akif Pirinçci "Für Deutschland" auf das Cover des Compact Magazins schrieb. Komischer Name dachte ich zunächst, weil ich an "Für Wolfgang" dachte. Dann war ich an der Reihe und sehr
aufgeregt. Ich kramte mein zerlesenes Exemplar von DER EINE IST STUMM, DER ANDERE EIN BLINDER aus der Tasche. Erst jetzt fiel mir auf, dass dort zu allem Unglück auch noch Mängelexemplar stand.
Den von mir vorgeschlagenen Spruch "für meinen linksgrünversifften Fan" fand mein Lieblingsautor blöd, und damit hatte er natürlich Recht. Ich bekam aber trotzdem ein Autogramm und konnte
glücklich den Heimweg über die verschneiten Straßen nach Magdeburg antreten. (Erp Trafassel)