"Je weniger Leute davon wissen, wie Würste und Gesetze gemacht werden, desto besser schlafen sie." (Otto von Bismarck)
Im nächsten Jahr wird die Stelle des Bundespräsidenten ausgeschrieben und ich habe mir überlegt, zu kandidieren. Nachdem Christian Wulff in dieser Position den letzten Hauch von
Würde und Glanz aus den großen Fenstern des Schlosses Bellevue in die Berliner Luft verfliegen ließ, scheint mir jeder halbwegs integre Mitbürger geeignet für diesen Posten zu sein. Und da auch
der Spaßbremse Gauck aus Altersgründen keine zweite Amtszeit beschieden sein wird, ist der Weg frei für neue Ideen und einen frischen Wind und eine Politik der verständnisvollen
Auseinandersetzung mit den Sorgen und Nöten der kleinen und mittelgroßen Leute in unserem Lande.
Jeder deutsche Staatsbürger, der das vierzigste Lebensjahr vollendet hat und zeitgleich wahlberechtigt ist, kann der Bundesversammlung von einem Mitglied derselben vorgeschlagen werden. Nun bin
ich seit einigen Jahren Anfang vierzig, sehe trotzdem immer noch aus, wie Mitte zwanzig, was meinem Antlitz einen Hauch Verwegenheit verleiht, obwohl ich gleichzeitig ein hohes Maß an
Zuverlässigkeit ausstrahle. Diese Kombination in Mimik und Gestik müsste vor dem Gremium positiv ins Gewicht fallen. Mein Leben ähnelt übrigens in manchen Situationen dem, verflossener
Amtsinhaber. So singe ich hin und wieder während der Arbeit Volkslieder wie Walter Scheel, rede kariertes Zeug wie Heinrich Lübke oder möchte am liebsten alles hinschmeißen wie Horst Köhler. Ich
bin politisch unbelastet, hatte vermutlich keine Stasi-Akte und wurde noch nie verhaftet. Außer das eine Mal und da war ich eigentlich ziemlich unschuldig. Bliebe natürlich die Frage zu klären,
auf welchem Wege ich von einem Angehörigen der Bundesversammlung aufgestellt werden könnte.
Ich müsste unbedingt die Aufmerksamkeit eines Delegierten auf mich lenken, Unterstützer finden, vielleicht eine Unterschriftensammlung anlegen, Freundebücher austauschen, Ehrenämter bekleiden und
älteren Damen über vielbefahrene Straßen helfen. Und ich sollte jemanden kennen lernen, der einen kennt, von dem man gehört hat, dass er einen gewissen Einfluss auf die stellvertretende
Sekretärin des Abgeordneten XYZ hat.
In meinem Arbeits- und Bekanntenkreis fanden sich sofort Unterstützer für meine Kandidatur. Bereits in den ersten Stunden hatte ich circa zehn Mitstreiter beisammen, denen ich zuvor Posten im
Umfeld meiner Regentschaft in Aussicht gestellt hatte. Eine Mitarbeiterin bot sich an, das Schloss, seine Bewohner und Gäste mit Backwerk auszustatten. Als Eigentümerin einer Backstube wäre sie
absolut geeignet für diese Aufgabe und könnte ihren kleinen Handwerksbetrieb über Jahre auslasten und wahrscheinlich sogar den Titel „Königliche Hoflieferantin“ in ihrem Firmenwappen
führen.
Weitere Kolleginnen boten sich an, die Pflege der Räumlichkeiten und Möbel in meiner Residenz zu bewerkstelligen, das Besteck zu polieren oder die Filzpantoffel im Eingangsbereich nach Süden
auszurichten. Wieder andere wollten für die ausländischen Gäste singen und tanzen, um ihnen die Zeitumstellung und die witterungsbedingten Veränderungen erträglicher zu gestalten. Es fanden sich
Aufgabenstellungen in allen Bereichen des täglichen Lebens und für Menschen jedweder Konstitution.
Der wichtigste Aspekt meiner Präsidentschaft ist natürlich die inhaltliche Ausrichtung, das Leitthema, dem ich meine Amtszeit zu widmen gedenke. Ich habe lange darüber nachgedacht und kam nach
kurzer Zeit zu dem Ergebnis, das ich mich mit den Ängsten der Mitbürger auseinandersetzen sollte. In unserer Zeit geschehen viele Veränderungen, welche Fragen aufwerfen und Sorgen bereiten und
deshalb möchte ich den Menschen entgegenrufen: „Ihr habt Recht, Freunde! Ich teile einige eurer Probleme, ich nehme Anteil, fühle mit euch. Zwar geht es mir finanziell blendend, doch auch mein
Klima wandelt sich, oft ist mir ganz trocken und manchmal habe ich Hochwasser.“
Beispielsweise plane ich, mein Präsidialamt damit zu beauftragen, eine abendfüllende Rede über den Untergang des weströmischen Reiches zu verfassen, um die Parallelität zu unserer derzeitigen
Situation in der Endphase des Kapitalismus zu veranschaulichen. Damit möchte ich die Menschen in unserem Lande in ihrer Angst vor der Zukunft bestärken. Schließlich stehen uns viele katastrophale
Entwicklungen bevor. Der Untergang unserer feisten, selbstverliebten und zerstörerischen Zivilisation ist kaum aufzuhalten. Die aktuelle Völkerwanderung belegt diese Entwicklung zur Genüge. Doch
Migrationsangst ist nur ein Punkt unter vielen. Ich werde leider veranschaulichen müssen, dass die von uns in Gang gesetzten Prozesse schwerlich wieder umzukehren sind. Hinzu kommen etliche
andere Risiken, die uns in null Komma nichts in die Steinzeit zurück katapultieren könnten. Genannt seien hier nur die massive Altersarmut, der Ausbruch eines Megavulkans und die Polumkehr. Auch
deshalb wird meine Amtszeit unter dem Schlachtruf „Alles wird schlimmer!“ in die Geschichtsbücher eingehen.
Unabhängig von den Erfordernissen des Tätigkeitsprofiles eines zwölften Bundespräsidenten muss ich zuallererst meinen Tagesablauf strukturieren. Ich werde die Ruhezeiten im Schloss Bellevue
ausweiten und an meinen Biorhythmus anpassen. Am Vormittag beschäftige ich mich mit Literaturstudien, Internetrecherchen und Mahlzeiten. Dann schlafe ich. Ministerentlassungen, Staatsbegräbnisse
und Bankette dürfen demzufolge erst nach der Kaffeepause stattfinden. Vorher stehe ich nicht zur Verfügung. Nebenbei bemerkt lag mir der Spätdienst in meinem alten Beruf auch am meisten.
Wahrscheinlich, weil ich nachmittags geboren wurde, so gegen 15:30 Uhr.
Auf Staatsbesuche im Ausland würde ich hingegen größtenteils verzichten. Ich habe in jungen Jahren mehrfach die Welt bereist, war wochenlang in Amerika und ein paar Tage in Kitzbühel. Damals war
sowas ganz interessant, heute wird es mir leider zu viel. Die gesparten Reisekosten möge man den vielen Bedürftigen in Form von frischem Obst und Gemüse zur Verfügung stellen, um den
sozioökologischen Anspruch meiner Präsidentschaft zu unterstreichen und die Junkfood-Konsumenten und das Prekariat in den Kontakt mit Vitaminen und Spurenelementen zu bringen. Vielleicht wird man
mich nach meinem Ableben in Kinderliedern als den „Fruchtigen Präsidenten“ besingen und meiner gedenken. Ich bin ein wenig ergriffen, wenn ich daran denke.
In diesem Sinne wünsche ich dem deutschen Volke und mir viel Glück auf dem Weg ins Schloss Bellevue und verbleibe mit freundlichen Grüßen. Wir sehen mich dann im Fernsehen. (HO)