"Essen hält Leib und Kehle zusammen." (Loriot)
In meinem Elternhaus herrschte eine relativ einfache Küche vor. Zum einen begründet durch die beschränkte Auswahl an Zutaten, welche die spätsozialistische Nahrungsmittelproduktion zur Verfügung
stellen konnte, zum anderen bedingt durch den höchst sensiblen Umgang mit Gewürzen, den meine geliebte Mutter an den Topf legte.
Die internationale Küche endete damals zwar sowieso spätestens am Balaton, doch selbst bis dorthin waren wir nie vorgedrungen. Den absoluten Höhepunkt mütterlicher kulinarischer Darbietungen
stellte Dosengemüse dar, welches unsere bescheidene Westverwandtschaft alle Jubeljahre zur Verfügung stellte und das lediglich mit einer blassen Mehlschwitze verfeinert wurde. Dose war Luxus -
absolut. Noch heute habe ich beispielsweise ein gestörtes Verhältnis zu frischen Champignons. Denn die müssen für mich aus der Konserve sein, III. Wahl bitte sehr. So kenn ich das.
Nun koche ich jedoch seit einigen Jahren mit wachsender Begeisterung mein eigenes Süppchen. Ich habe mein schlankes Herz dabei vor allem an die außereuropäische Küche verschenkt. Mein Gewürzregal
zum Beispiel ist ähnlich beeindruckend bewohnt, wie meine Musikaliensammlung. Sehr vieles ist ausländisch. Einiges davon haben andere Menschen nicht mal im Traum zu schmecken gewagt. Echt. Doch
am allerliebsten verwende ich frischen Knoblauch. Der passt immer, veredelt und schmückt jede Mahlzeit und sei sie noch so einfallslos.
Einmal habe ich zum Beispiel für eine innerbetriebliche Feierlichkeit ein Curryhühnchen zubereitet. Morgens um acht begann ich mit dem Zerstückeln von 1 ½ Pfund konventioneller Hühnertitten und
bis zum Mittag hatte ich einen wohlschmeckenden Matsch zusammengeschmort. Leider musste ich während der verschieden Arbeitsschritte so oft abschmecken, dass von der Portion für zwanzig Personen
nicht mehr genug übrig geblieben war. So erwarb ich beim Lebensmittelliebhaber um die Ecke ein ähnlich großes Stück Geflügel und wiederholte alles noch einmal, bis ein ansehnlicher Berg Nahrung
angefertigt war. Dieses Gericht schmeckte den Gästen vorzüglich, sie verputzten es komplett, obwohl manche meinten, die leichte Knoblauchnote wäre doch etwas zu dominant gewesen. Das lag
wahrscheinlich an den zehn Zehen, die ich der Speise mit auf den Weg gegeben hatte. Verständlicherweise eine durchaus angemessene Menge und sicher nicht zum Schaden von Mensch und Tier.
Nur offenbarte sich an diesem und anderen Tag leider ein übliches Dilemma meiner Kochkunst. Ich koche recht gut. Aber es dauert. Ewig. Für das Hacken einer Zwiebel kann man leicht eine knappe
halbe Stunde kalkulieren. Zuzüglich der Zeit für die Musikauswahl, die den Prozess begleiten soll. Denn ich tue dies alles mit viel Liebe. Und Liebe kostet Zeit und Nerven. Ist halt so. Meine
engsten Angehörigen haben sich inzwischen daran gewöhnt. Überschaubare Mengen Gekochtes bin ich trotz allem im Stande, bis zum Mittag zuzubereiten. Wenn ich gleich nach dem Frühstück
anfange.
Noch beliebter, als meine halbfesten Gerichte waren eine Zeit lang meine utopischen Suppen. Die mallorquinische Kohlsuppe war der erste Schlag in die Eingeweide der verwöhnten Familie. Ein
Gemüseoverkill mit mediterraner Note, langwierig am Herd und im Verdauungstrakt. Aber geschmacklich ein Gedicht. Meine Schwiegermutter wollte partout nicht glauben, dass dieses Gourmeterlebnis
meiner eigenen Kunst entsprungen war. Ich arbeitete bei circa fünfzig Grad Celsius in der Küche und wegen einem Kindergeburtstag im Hof. Die Kreation war bei den erwachsenen Gästen jedenfalls ein
voller Erfolg, an den Kindern ging sie komischerweise komplett vorbei.
Andere Suppen hatten aber noch schwerwiegendere Konsequenzen. Genannt seien hier meine Spinat- und natürlich die legendäre Grünkohlsuppe. Diese Schöpfungen bestanden neben dem bisschen Grünzeug
vor allem aus Hülsenfrüchten. Lecker zwar, dennoch für Darm und Därmin sehr anhänglich, quasi nachhaltig. Kein Wunder, das Biogasanlagen immer mehr im Kommen sind. Denn das rumste ordentlich. Mir
war nach zwei Tellern solcher Suppe über Stunden kodderich, das Bier mit Freunden wollte nicht wirklich durch den Schlund passen, weil ihm die Abendmahlzeit immer wieder entgegen kam. Der treuen
Gefährtin erging es jedoch noch ärger. Nachdem sie die Fahrstuhlsuppe erfolglos mit einem leichten Fencheltee zu beruhigen versucht hatte, steckte sie sich schließlich notgedrungen den magischen
Finger in den Hals und übergab die leckere Pampe an Klo und Kanalisation. Die Bakterien im Klärwerk werden sich gefreut haben. Die pupsen bestimmt heute noch Melodien - wegen der
Erinnerung.
Begonnen hatte der Suppentrend damals mit meiner Vorliebe für die türkische Linsensuppe, die unser Dönermann leider vor etlichen Jahren aus dem Programm genommen hatte. Ich fühlte mich endlich
berufen, ihr eine Wiederauferstehung angedeihen zu lassen. Ich gab mir größte Mühe, nur mit Originalzutaten zu hantieren und die Zubereitungsvorschriften auf das penetranteste zu befolgen. Lange
schund ich mich am Herd und versuchte, der Mitbewohnerin das zu erwartende Ergebnis schmackhaft zu machen. Meine Version geriet allerdings weit weniger deliziös, ihre Konsistenz war robuster,
eher breiig, schlempig, kleisterig. Und die Verstoffwechselung war mit größerem Aufwand verbunden als beim Produkt vom Fachhändler. Doch lies ich mich bis auf weiteres nicht entmutigen.
Erst nachdem meine gute Frau nachdrücklich eine Unverträglichkeit von Hülsenfrüchten für sich proklamiert hatte, verebbte die Suppenküche zusehends und machte anderen Experimenten Platz, die
heutzutage immer wieder die Gaumen der Familie beglücken. Ja sogar vegetarisches gelingt uns derweil gar nicht so schlecht, wenn wir ein bisschen Fleisch mit ran machen. Vereinzelt kommt es noch
zu Tom-Ka-Gai Suppen, auch sehr lecker, aber völlig ohne blähende Zusätze. Lediglich der Hauch Knoblauch ist an allen Gerichten unvermeidbar geblieben. Mahlzeit. (HO)