Büchersendungen

„Freude ist für jeden schön.“ (Janosch)


Als ich letzte Woche eine Büchersendung mit dem zwölften Band der gesammelten Werke von Josef Stalin in dreizehn Bänden, Dietz Verlag 1950-55, gebunden in echtem Kunstleder, zugestellt bekommen sollte, befand ich mich vollständig in meiner Wohnung und erwartete dort ein wenig aufgeregt und vorfreudig eben diesen Moment, doch der blieb aus. Mürrisch stiefelte ich gegen Mittag die Treppe hinunter und kontrollierte den Briefkasten auf eventuelle Zugänge. Darin befand sich überraschenderweise eine Mitteilung der Postbotin, wonach eine Büchersendung am nächsten Werktag ab zehn Uhr in der zuständigen Postfiliale am anderen Ende der Stadt zur Abholung für mich bereit stünde. Die doofe Pute hatte weder bei mir, noch bei den netten Nachbarn geklingelt, sondern flugs ihr kleines Formular ausgefüllt und sich auf den Weg in den Feierabend gemacht. Was für eine Scheiße. Einfach ärgerlich.
Also packte ich tags darauf ein Getränk und etwas Gebäck in meinen Rucksack, legte wetterfeste Kleidung an und machte mich auf den Weg. Mit leichter Erschöpfung erreichte ich irgendwann die Dreckspost, stellte mich ans Ende der Schlange, lauschte den Gesprächen am Schalter, irgendwelchen hinkenden Seniorinnen, die drei Tippscheine gleichzeitig abgeben und dann auch noch die Luzi rubbeln wollten, nicht ohne massive Unterstützung der genervten Posttante versteht sich. Geduld, nur Geduld. So dachte und schwitzte ich. Als ich endlich an der Reihe war, wurde vor Übergabe des Umschlages pflichtschuldig mein Ausweis kontrolliert. Wenn ich den vergessen hätte, wäre eine Geiselnahme kaum zu vermeiden gewesen. Das wusste ich. Aber ausnahmsweise Glück gehabt, Büchersendung eingesackt. Vor der Rückreise noch einen Schluck Mineralwasser und einen kleinen Keks in die Wangentasche geschoben, Schultern hochgezogen, Schlechtwettergesichtsausdruck eingestellt und los. Stunden später zu Hause angekommen freute ich mich längst auf die Couch, wollte die verschwitzten Klamotten in die Ecke pfeffern, die Papiertüte aufreißen und mit der Literatur ein Schläfchen machen. Unglücklicherweise warf ich noch schnell einen Blick in den Briefkasten. Darin eine gelbe Karte: eine Einladung, am nächsten Werktag ab zehn Uhr in einer Niederlassung am Arsch der Welt eine Büchersendung abzuholen…
Heiliges Murmeltier, kann man so enttäuscht werden? So fertig gemacht, erniedrigt, verarscht? Ich will doch nichts geschenkt bekommen, erwarte keine aufopfernde Behandlung, nein, ich bezahle sogar dafür. Der Service ist schließlich nicht ganz kostenlos. So etwas kann einen Menschen in tiefe Depressionen stürzen, denn es verdeutlicht die Sinnlosigkeit allen menschlichen Strebens in nachdrücklicher Weise. Wie viele Selbstmorde sind in den vergangenen Jahren auf das Konto der allmächtigen Post gegangen? Wie viele Eisenbahnen hatten  deshalb stundenlange Verspätung? O weh! Denn es handelt sich keineswegs um einen Einzelfall. Man erahnt es an den Trauben von Menschen, die zerknirscht vor Postfilialen ausharren oder auf einsamen Bahnsteigen die Einfahrt irgendeines Zuges mit tief gesenktem Blick erwarten. Gepeinigte Individuen, die eben noch auf einen mitfühlenden Brief von Verwandten, auf das Kuvert vom Orion-Versand hofften. Umsonst! Denn selbst wenn sich der Empfänger seit den frühen Morgenstunden in der Nähe der Briefkästen aufhält, um der Briefträgerin auf jeden Fall über den Weg zu laufen, so hat sie an solchen Tagen höchstens einen Stapel Mahnungen in der Ledertasche. Auf den Brief von der Angebeteten aus Sonstewo wartet er vergeblich. Wenn die Botin ausversehen einmal das Richtige bei sich trägt, verrät sie es nicht, nein, sie  nimmt es wieder mit in ihre dunkle Höhle, in der sie wie eine fette Spinne auf den Sendungen armer Leute kauert und grinst.
Ein weiterer Höhepunkt meiner ernüchternden Erfahrungen mit dem autoritären Zustellservice bestand in einem Filialbesuch meinerseits, bei welchem eben diese Einrichtung am Rande der Galaxis für einen Tag wegen Renovierungsarbeiten für die Kundschaft gesperrt war. Durch die offene Tür sah ich die unerreichbare Angestellte, die damit beschäftigt war, meine eigene und die Sendungen anderer verzweifelter Mitbürger in endlose Regale einzusortieren. Auf ewig. Bis sie nach einer Woche an den Absender zurückgeschickt würden. Welcher Hohn. Denn jeder ehrliche Adressat, der sich das Porto vom Munde absparen musste wie ich, geht einer geregelten Arbeit nach und kann nicht täglich und rund um die Uhr wie ein Bittsteller vor dem gelben Tempel erscheinen, um das zu erlangen, was ihm zusteht. Nein, man zwackt sich die Zeit ab, vernachlässigt Freizeitaktivitäten, Freunde und Kinder, um zur allmächtigen Post zu gelangen. Für nichts.
Vielleicht sollte ich zukünftig auf die Post gänzlich verzichten. Das meiste muss man ohnehin sofort an Dr. Schredder übergeben. Sinnloser Werbemüll. Wenigstens damit kennt sie sich aus, da ist sie absolut zuverlässig, so was kommt an. Natürlich kann ich nicht jeden Verkäufer interessanter Devotionalien persönlich aufsuchen, um die Übergabe des von mir erworbenen Kulturgutes zu beaufsichtigen. Doch ob die deutsche Post dafür geeigneter ist, mag durchaus bezweifelt werden. Traurig aber wahr. (HO)