„Angelockt von Bäumen siehst du Schmuddelkinder streunen.“ (Novotny TV)
Mein (potentieller) Schwiegervater stellte mir vor einigen Jahren die Erbschaft eines kleinen Waldgrundstückes in Aussicht, welches er beiläufig erworben hatte. Ich war sofort ziemlich
überrascht. Was soll ich denn damit anfangen?
Wann gelangt man als Städter schon in den Besitz von Grund und Boden, von Flora und Fauna? Doch eher selten. Was habe ich mit Wäldern zu schaffen? Wenig. Die einzigen Bäume, die meine
Wertschätzung genießen, sind solche auf unserem Friedhof. Denn da gehören sie hin. An ruhige und beschauliche Orte.
Natürlich, ich bin ein großer Freund des mindestens Halbschattens. Ich meide die Sonne seit meiner Zeit als Hobby-Grufti, habe ihr zuliebe sogar die eine oder andere Allergie entwickelt. Im
Sommer gehe ich deshalb nur widerwillig vor die Tür. Im Winter gar nicht. Ich bin quasi Indoor-Fetischist. Stubenhocker. Vorhänge zu, Rollläden runter. Alle Energiesparlampen auf volle Pulle.
Deshalb interessiert mich die Natur nur in Ausnahmefällen. Vor allem im Fernsehen. Ich liebe Dokumentationen über raue Landschaften – über Sibirien, die Karpaten oder Thüringen. Wälder über
Wälder. Schön, nicht live dabei sein zu müssen.
Schließlich fürchte ich mich vor Zecken, Mücken und Wespen, vor Bären und Wölfen. Ich verabscheue Matsch an meinen Schuhen, Laub in den Haaren und Dreck unter den Fingernägeln. Im Sommer ist es
mir zu warm und im Winter zu kalt. Im Frühling muss ich ständig niesen, im Herbst quält mich der Umwelt Siechtum und Verfall. Grelles Sonnenlicht blendet mich und im Dunkeln kann ich auch nichts
sehen. Selbst großartige Landschaften langweilen mich nach kurzer Zeit und ich möchte doch lieber wieder nach Hause. Ich kann die Natur einfach nicht genießen. Wir passen nicht zusammen. Obwohl
ich schon öfter die Grünen gewählt habe. Alles vergebens.
Was soll ich also mit Bäumen in meiner Familie? Passt der besagte Wald überhaupt auf meine Fensterbank? Vielleicht neben den grindigen Kaktus meiner Schwägerin, der seit Ewigkeiten mit dem Tode
ringt. Der Vermieter wird sich freuen. Das gibt sicherlich Schimmel. Denn so ein doofer Wald dünstet bestimmt so einiges aus. Ich würde mir selbst demnach vom Waldbesitz abraten. Das ist nichts
für mich. Dann doch lieber bares Geld erben. Das kann ich wenigstens postwendend in die Verdunkelung der eigenen vier Wände investieren.
Der einzige Baum, der trotzdem seit Jahren immer wieder in meine Privatsphäre eindringt, ist der Weihnachtsbaum. Auch ohne Einladung und eigenes Zutun gesellt er sich regelmäßig zu mir. In einen
Singlehaushalt Ende der neunziger schleppte mir ein guter Freund meinen ersten eigenen Weihnachtsbaum. Er hatte ihn mühevoll dem lokalen Einzelhandel entwendet, der die Verschönerung der
Innenstadt beabsichtigte, indem er schnöde Laternenpfähle mit Tannen bekleben ließ. Der Baum war für seine Verhältnisse ziemlich groß. Und ich sofort dagegen. Die Krone erhielt meine Mutter kurze
Zeit später als kleine Überraschung, das Unterteil vertrocknete bis Ende April in meiner kalten Badewanne und flog schließlich als Frühlingsgruß an das gemeine Volk aus dem Fenster.
Seit dem habe ich Pech mit Weihnachtsbäumen. Denn mein weidmännischer Schwiegervater versorgt uns alljährlich damit. Unser erster gemeinsamer Baum roch penetrant nach Pisse, weil die alte
Hofkatze notdürftig dagegen gepinkelt hatte. Ein weiterer flog später von unserem Balkon direkt in den Laubbaum hinterm Haus und musste von der Frau mühsam mit Leiter und Schrubber befreit
werden. Er hatte sich völlig verkeilt und hätte dem Hauswart im neuen Jahr eine hübsche Überraschung bereitet.
Denn die Dinger sind einfach blöd. Der größte Nachteil des Weihnachtsbaumes ist sein rigider Eingriff in die Geographie der Räumlichkeiten. Er versperrt Schränke, Fenster, Heizkörper. Wenn der
Baum kommt, räumt man die Einrichtung komplett um, trägt alles dreimal im Kreis, den Fernseher, das Sofa – nichts bleibt, wie es war. Alles muss sich dem grünen Gast unterordnen, ob es will oder
nicht. Und wie dankt es der böse Baum? Er stört.
Selbst der Tagesablauf gerät durcheinander. Wo man sonst des Morgens mit ausgebreiteten Armen und nackter Brust die Fensterflügel aufriss, um in groben Zügen die kalte Morgenluft einzuatmen,
steht nun der Baum - und das Fenster bleibt zu. Stattdessen puzzelt man mehrmals täglich in weitem Umkreis Tannennadeln aus den Berberteppichen. Wenn die Tanne nicht selbst Ursache eines
zünftigen Wohnungsbrandes ist, so nadelt sie um sich, wie Guido Westerwelle auf Friedensmission. Zum Abschied erst recht. Wenn der Baum endlich geht, lässt er dennoch seine Nadeln zurück.
Tausende. Überall. Im Herbst finden sich immer noch Stacheln vom Vorjahr in Teppichen, Wollpullovern und Bärten. Ätzend.
Apropos Wohnungsbrand - im Brandfall wird es eng. Die wenigen Fluchtwege sind im Dickicht der Äste verschollen, gewohnte Trampelpfade durch das übliche Caos sind verbaut oder umgeleitet. Gerade
ältere Mitbürger verlieren dabei schnell die nötige Übersicht und bleiben im Inferno zurück. Die freiwillige Feuerwehr wird sich bedanken. Dutzende Menschen sterben jedes Jahr, weil die Helfer
sie nicht rechtzeitig aus ihren völlig verbaumten Wohnungen befreien konnten. Eingeklemmt zwischen Gestrüpp und Möbeln ersticken sie an Kohlenmonoxid und flüchtigen Baumharzen, bevor die
Feuerpatschen vor Ort sind. Doch selber schuld.
Wie konnte sich ein solch abstruser Brauch nur herausbilden? Bäume entführen – wie blöd. Sie gehören in den Wald. Dort wohnen sie. Und nicht in Häusern und Wohnungen. Das ist unnatürlich. Der
Mensch hat den Urwald nicht ohne Grund verlassen. Er ist ein Kind der Steppe, des Graslandes, der Auslegeware. Freie Sicht für freie Bürger. Wer möchte unter diesen Umständen schon hautnah mit
Bäumen zusammen leben? Ich jedenfalls nicht! (HO)