“Quidam ludunt, quidam bibunt, quidam indiscrete vivunt.” (Carl Orff)
Carmina Burana ist meiner Meinung nach die einzige Oper, die man sich ohne größere Schmerzen und ebensolches Kunstverständnis unter Umständen mal antun kann. Ich bin seit langer Zeit im Besitz
dieses Werkes auf CD, habe diese mehrfach verborgt und nur selten gehört, im Ganzen schon überhaupt nicht.
Deshalb war ich einigermaßen überrascht, als wir völlig unvorbereitet zu Eintrittskarten für eine orchestrale Intonation dieses kulturellen Ereignisses unter freiem Himmel gelangten. Erst recht,
da ich einer ähnlichen Darbietung schon vor etlichen Jahren einmal beiwohnen durfte. Dies in einer Zeit, welche uns viele musikalische Ereignisse bescherte, in der wir noch regelmäßig vor die Tür
und manchmal darüber hinaus gingen. Wir standen damals mit etlichen anderen jungen Leuten am Rande eines abgezäunten und mit Planen verhängten Areals neben der Festhalle einer größeren Ortschaft
und wurden von den fiesen Sicherheitskräften selbst am allerkleinsten Blick durch die Lücke gehindert, um den Genuss der Ehrengäste nicht zu stören. Damals bestimmte der Hass auf die ekligen
Snobs und ihre Lakaien den Abend und die eine oder andere Bierdose flog, völlig zu Recht, über den Zaun. Ihr fetten Schweine!
Und nun das. Die Woche bis zum Konzert verging nicht ohne negative Stimmungen, eingebettet in schlechte Laune und dunkle Prophezeiungen meinerseits. Überraschende Ereignisse verwirrten mich halt
schon immer ein wenig. Ich bekam Angstzustände, Panikattacken und einen leichten Ausschlag hinter dem linken Ohr.
Aber hin gingen wir, ihr zu liebe, dann doch. Denn Frauen wollen schließlich auch mal die hohe Kunst genießen. Nun gehörten wir also selbst zum Kulturmob. Zum Glück hatten wir nur einen Teil des
Eintrittspreises entrichten müssen. Für über dreißig Euro pro Karte hätte mich niemand dahin bekommen. Und das Wetter der letzten Tage ließ Übles erahnen. Doch nach dem mittäglichen Wolkenbruch
schien tapfer die Sonne. Bis wir unsere bequemen Klappstühle inmitten des ortsüblichen Publikums eingenommen hatten.
Sofort begann es verhalten zu regnen, steigerte sich dann unter düsteren Wolkenmassen zu einem ordentlichen Guss, um später langsam wieder nach zu lassen. Unsere wetterfeste Kleidung schützte uns
nur in den ersten Minuten adäquat. Dann kam die Nässe durch. Für solche Gegebenheiten hatten die Urmenschen Höhlen und Reisighütten erfunden, aber wir saßen Ewigkeiten nach dem letzten Millennium
immer noch im Freien. Schön blöd.
Trotzdem war ich guter Hoffnung, denn auf der CD dauert das Kunstwerk nur eine knappe Stunde. Der Vorredner versprach uns eine kleine Pause, in der ich zum Bierstand wechseln wollte, um den
Umständen wenigstens eine kleine Freude abzuringen. Des Weiteren erwähnte der Moderator völlig unbekannte klassische Werke, die zuerst intoniert werden sollten. Das tschechische Orchester begann
dann auch mit komplett uninteressanter Musik. Wir hatten also Zeit, unsere Sitznachbarn zu beäugen.
Vor mir saß eine junge Frau mit breitem Becken, deren Hüfthose fast komplett unter ihrem dicken Arsch verschwunden war und die damit den Ausblick auf ihren straff gespannten Stringtanga feilbot.
Toll! Der reifere Herr neben ihr war zu dieser Zeit gerade damit beschäftigt, das Pärchen vor sich zu beschimpfen und diesem auf den Regenschirm zu schlagen, welcher ihm offensichtlich die Sicht
auf die Bühne nahm. Vernünftigere Menschen hatten sich derweil in transparente Folien gewickelt, um dem Regen zu trotzen und störten die Veranstaltung lediglich durch ihr permanentes
Geraschel.
Nach einer guten halben Stunde wechselte man zu der Musik, für die wir und alle anderen Anwesenden bezahlt hatten. Zeitgleich begann meine Blase zu drücken. Aber Kunst und Harndrang gingen in
meinem Leben ja schon oft Hand in Hand. Wir erkannten das Werk sofort. Trotzdem ging mir die versprochene Pause nicht aus dem Sinn. Es dunkelte und die Lasershow setzte ein. Und der Regen kam
zurück. Vor der Kulisse eines Sakralbaues eine hübsche Sache. Die ersten zwanzig Minuten von Carmina Burana sind ja auch sehr schön anzuhören. Dann bekommt das Ganze erhebliche Längen. Außerdem
war ich der festen Überzeugung, dass der Mittelteil aus Kostengründen auf Tschechisch gesungen wurde. Wir freuten uns also auf die letzten fünf Minuten, denn da wird es noch mal interessant. Der
Schluss war entsprechend beeindruckend, mit Bums und Böller und Feuerwerk und Gewitter und so. Die Stadt explodierte. Endlich.
Ich hätte mir gewünscht, dass der Chor wenigstens noch "Unsere Heimat" zum Besten gibt, es wäre sicherlich passend gewesen. Taten sie aber nicht. Die Banausen. Dann sagte meine Frau endlich, wir
könnten jetzt verschwinden und wir drängelten uns durch die klatschende Sitzreihe. Mit eiligen Schritten verließen wir den Schauplatz und ich vollzog eine lang anhaltende Miktion an der
nächstgelegenen Hauswand. Mit dem Stehpilz wurde es nichts mehr. Doch daheim war uns wieder besser. Ich werde der klassischen Musik in den nächsten Jahren mit Sicherheit aus dem Weg gehen,
vielleicht besuchen wir einmal einen Klezmer-Abend, dann ist es aber auch genug. (HO)