Traumhochzeit

Hochzeiten sind mir grundsätzlich suspekt.

 

Eigentlich wollte ich ja so gut wie niemals heiraten. Doch im kurzen Überschwang kleinen Glücks begannen wir vorübergehend laut darüber nachzudenken, waren uns sogar im Prinzip weitestgehend fast schon ein wenig einig. Folgende Möglichkeiten hatten wir durchgespielt und wieder verworfen:

 Mein absoluter Traum wäre die Eheschließung am Automaten, zum Beispiel im Bahnhof oder an einer Tankstelle. „Wenn sie diese Frau heiraten wollen, drücken sie bitte die Eins. Wenn nicht, drücken sie bitte die Zwei und verschwinden umgehend. Wenn sie sich nicht sicher sind, ob das neben ihnen eine Frau ist, warten sie, bis sie wieder nüchtern sind und/oder kaufen sie sich eine Fahrkarte nach Köln. Piep. Ihr Beleg wird gedruckt.“ Im Foto-Fix-Automaten noch schnell ein paar Hochzeitsfotos schießen, beim Stehimbiss ein Käffchen und fertig ist der Lack. Kein Fummel, keine Gäste, keine Tränen - nur abends bei den Schwiegereltern anrufen und die freudige Nachricht bekannt geben. Darauf könnte ich mich einlassen. Leider gibt es solche Hochzeitsautomaten noch nicht. Sollte man aber dringend mal erfinden.

An Bord von Schiffen kann man sich, glaube ich, auch trauen lassen. Vom patenten Kapitän. Das wäre doch mal was. Eine Kreuzfahrt kommt für uns jedoch aus finanziellen und marinepolitischen Gründen nicht in Frage. Bleibt also nur die heimische Binnenschifffahrt. Unser geliebtes Provinzstädtchen hat schließlich einen ansehnlichen Binnenhafen und eine ordentliche Ausflugsdampferflotte. Am günstigsten scheint mir allerdings die Vermählung auf einer kleinen Flussfähre. Eine Tüte Fahrscheine vom Verkehrsverbund sollte hierfür genügen. Müsste man bloß mal nachfragen, ob die so was machen würden. Ausgangspunkt wäre der Biergarten auf der Westseite des Fließgewässers, dann mit der Fähre vom Lieblingsstadtteil rüber zum Park, um die Feier auf einer großen Wiese beschaulich ausklingen zu lassen. So etwas könnte ich vielleicht gerade noch ertragen.

Leider habe ich soeben aus militärisch hochrangiger Quelle erfahren, dass Eheschließungen nur von Kapitänen zur See mit einer standesamtlichen Zusatzqualifikation und auch nur außerhalb der Dreimeilen-Zone in internationalen Gewässern durchgeführt werden dürfen. Wird es also nix mit der angestrebten Light-Version der Schiffsvermählung. Schade.

Für eine anonyme Hochzeit in der Fremde bin ich wiederum zu ortsgebunden (träge). Außerdem kennen wir da ja niemanden, den wir nicht einladen können. Andererseits hätten wir über einen längeren Zeitraum keinerlei Gesprächspartner, außer uns selbst. Eine perfekte Einstimmung auf ein lang anhaltendes beschauliches Leben zu zweit. Ob das wohl gut ginge? Die Anreise wäre sicher zeitraubend und beschwerlich, das Gepäck übergewichtig und sperrig und das Hotel zu teuer und trotzdem arg verwohnt. Es wäre also insgesamt ähnlich unangenehm wie bei normalen Urlaubsreisen. Wohin die Fahrt gehen soll, müsste man ebenfalls erstmal herausfinden. Las Vegas? Langweilig – war ich schon. Ostsee? Auch langweilig – war ich noch öfter, als in Las Vegas. Aber egal wohin, bestimmt geht man sich innerhalb kürzester Zeit so sehr auf den Keks, dass man bei der entscheidenden Frage des Standesbeamten um ein gestammeltes „Nö, ich weiß noch nicht!“ kaum herum kommt. Und damit wäre der ganze Zinnober vergebens gewesen. Auch doof.

Also doch zu Hause bleiben. Ist es auch nicht so weit zum Standesamt. Können wir laufen. Wenn das Wetter hält. Aber eigentlich will ich dort ja gar nicht hin. Eine herzliche Wunderpredigt ließe sich bei denen erst recht nicht vermeiden. „Wenn sich zwei Herzen gefunden haben…“ Dazu dümpelt seichte Klassik aus einer billigen Stereoanlage. Bäh! Das hasse ich. Wenn man besonders viel Glück hat, bekommt der/ die/ das Standesbeamte sogar noch eine ostalgische Anwandlung und philosophiert ein wenig über die Interaktion von Partnerschaft, Verantwortung und Weltfrieden. Unsere Angehörigen suchen verzweifelt nach ihren Taschentüchern, reiben sich die Tränensäcke wund und tun so, als würden sie sich über irgendetwas freuen. Wir Hochzeitsopfer sitzen auf dem Präsentierteller wie matschige Tortenstücke in der Sonne und kucken auch so aus der übertrieben aufgetakelten Wäsche. Das würde mir viel zu persönlich werden. Nachher erkennt mich da noch wer. Am liebsten hätte ich in solchen Situationen immer eine große Papiertüte über dem Kopf. Passt aber wahrscheinlich nicht zum Anzug.  Auch wegen der Fotos, die da immer gemacht werden. Diese Situationen müssen wir insgesamt möglichst unbedingt vermeiden. Sonst geht mir nachher wieder die Hose auf.

Die nächste Hürde stellt die unvermeidliche abendliche Feier mit den Verwandten und deren entfernten Bekannten dar. Mein Schwiegervater hat hierzu schon seit etlichen Jahren recht konkrete Vorstellungen. Wir mieten den großen Saal überm Dorfkrug und laden die halbe Gemeinde ein (nur so zwei- bis dreihundert Leute). Der heimische Volkschor singt ein Potpourri alter Weisen, die Jagdhornbläser tuten einige Signale über tote Tiere, pathetische Redeschwälle ergießen sich auf die Anwesenden und Schwiegermutters Saunagruppe inszeniert in Bademänteln einen frivolen Sketch auf unsere Kosten. Irgendeine Tante der Braut präsentiert eine lustige Hochzeitszeitung und dirigiert noch ein paar alberne Spiele rund um das armselige Brautpaar. Dann wird grobmotorisch getanzt und zum Schluss bekommt meine Schwägerin Lametta den Hochzeitstrauß an den Kopf geschmissen. Das wird eine Freude. Fast so schön wie das Ende der Welt. Erschießt mich!

Für die Zeit nach der standesamtlichen Vermählung  hätte ich zum Glück noch einen Plan B in der schwarzen Schublade. Wir heiraten pünktlich um 10:00 Uhr, beeilen uns damit ein bisschen und vermeiden lange Küsse, geworfene Lebensmittel sowie ausschweifende Glückwünsche. Denn gleich danach gehe ich pflichtbewusst zum obligatorischen Spätdienst. Die Gesellschaft zieht ohne mich weiter. Soll die Bagage doch ruhig Kaffee saufen, bis sie gastritisch geworden ist. Wenn ich irgendwann spät abends nach Hause komme, sind die Familienangehörigen leider bereits abgereist und infolgedessen kann nun ganz in Ruhe mit unseren verbliebenen Freunden gesoffen werden bis nichts mehr geht und wie sich das gehört. Ein guter Plan - in der Tat.

Als bei einer der letzten Hochzeiten im Freundeskreis eine junge Dame witzelte, die meine solle doch den Brautstrauß fangen, sie würde gerne zu unserer Feier kommen, lächelte ich nur erhaben und antwortete: „Das macht uns gar nichts, der kommt zu dem Strauß von 2004.“

Schlussendlich sind wir nämlich übereingekommen, vorerst noch nicht zu heiraten. Es wäre einfach zu nervenaufreibend für mich. Übermorgen ist schließlich auch noch ein Tag. Was andere Leute an pompösen Hochzeiten so schön finden, wird sich mir wohl nie erschließen. Vielleicht adoptieren wir uns stattdessen einfach gegenseitig. Das ist sicher billiger, unkomplizierter und viel weniger feierlich. Braucht nicht mal jemand mitzukommen. (HO)