Wenn der Opa als erfahrener Oberjäger durch die Kante rennt, ist seinem Enkel eine weidmännische Erziehung unweigerlich vorherbestimmt.
Das Unglück begann mit dem ersten Geburtstag des kleinen Kostgängers. Er bekam von seinem lieben Opa ein Gewehr geschenkt. Kein albernes Plastikteil aus Hinterchina versteht sich, sondern eine
richtige Büchse mit Platzpatronen vom Jagdausstatter im Geschenkkoffer. Ich war der Herzzerrüttung nahe und überschüttete die Kindsmutter mit Vorwürfen und dunklen Prophezeiungen betreffs
Polizeirazzien, Vernehmungen, Gerichtsterminen und Kindesenteignungen.
Das Ding lag die ersten Jahre ganz oben auf dem Regal. Jedoch kurz bevor ich es endgültig bei Ebay verschlitzen, wegschmeißen oder im Keller verstecken konnte, entdeckte es der Bengel. Sein Opa
hatte ihn angestachelt, indem er regelmäßig nach dem Gewehr fragte. So musste ich es widerwillig herunter holen und aushändigen. Es wurde zum ständigen Begleiter bei den großväterlichen Ausflügen
in den Wald und den kindlichen Jagdzügen zwischen Wohn- und Kinderzimmer.
Die weidmännischen Kenntnisse des Jungen vermehrten sich und so gelang ihm in einer frühen Phase des Spracherwerbes einmal der Satz „Opa Schwein tot!“ - zum Glück in den eigenen vier Wänden. Ich
malte mir sogleich aus, welchen Eindruck diese Metapher auf die Erzieherinnen in der Kinderkrippe machen würde und erwartete tagelang das Jugendamt zum Hausbesuch. Von den Damen im
Backwarenfachgeschäft ernten wir heute noch irritierte Blicke, wenn der Sohnemann beim Einkaufen fröhlich von toten Rehen, Hirschen und Wildschweinen berichtet.
Er hat demzufolge ein sehr entspanntes Verhältnis zum Tod. Die erschossenen Tiere waren ja schließlich alle krank gewesen und wollten sowieso dringend sterben (sagt Opa). Unsere täglichen
Spaziergänge über den Friedhof gegenüber, der uns seit Jahren als Parkanlage dient, führten bald zu Diskussionen, in deren Verlauf wir klarzustellen versuchten, dass der Tod nur von sehr wenigen
Lebewesen herbeigesehnt wird. Zu den erlegten toten Tieren bei unseren Schwiegereltern gesellten sich thematisch die Bewohner der Grabstellen am Wegesrand und die obligatorischen Dinosaurier. Was
sich das Kind aus unseren Erläuterungen zurechtgereimt hat, ist mir nach wie vor schleierhaft und sicherlich noch starken Schwankungen unterworfen.
In seiner Phantasie beschäftigt er sich jedenfalls ausgiebig mit der Jagd. Sehr häufig sitzt der Jungjäger auf seinem Hochbett, hält die Waffe im Anschlag und dabei Vorträge über die von ihm
geschossenen Tiere, welche im Kinderzimmer verstreut liegen. „Papa, du kannst da nicht stehen, da ist alles Blut!“. Ach so! Dann muss Papa helfen, die Wildschweine in den Anhänger des
Rutscheautos zu verladen. Wir fahren sie in die Stube oder legen sie zum ausbluten in die Badewanne.
Mama und ich haben deshalb schon reichlich Erfahrung im Umgang mit unsichtbaren Tieren. Unsere zwei Jagdhunde beispielsweise begleiteten uns oft bis zur Kindertagesstätte, wo sie im Keller
angeleint wurden und auf die nachmittägliche Heimreise warteten. Manchmal irrte der Sohn auf der Suche nach dem einen Köter durch die Wohnung und fragte seinen Papa „Hast du meinen Hund
gesehen?“. Papa sagte dann „Nein, noch nie!“. Das arme Kind. Zurzeit ist von unseren Hunden keine Rede, aber sie werden bestimmt mal wieder in Mode kommen.
Mit der jagdlichen Praxis geht aber noch ein weiteres Problem einher – die Trophäen. Zum dritten Geburtstag bekam der kleine Schützenkönig von seinem persönlichen Jagdausbilder einen
ausgestopften Baummarder geschenkt. Ich war entsetzt und sogar meine arme Schwiegermutter schüttelte den Kopf über ihren Gatten. Zur Freude des Nachwuchses richteten wir im Korridor eine
Trophäenwand ein, an der bisher besagter Baummarder und der Schädelknochen eines Rehbocks ihren Platz gefunden haben. Wir Eltern hatten unsere Wohnung zwar anders einzurichten geplant und hätten
auf totes Viehzeug gern verzichtet, sind heutzutage aber froh, wenn Opa an kindlichen Feiertagen nicht einen kompletten Wildschweinkopf oder den verstaubten Waschbären aus seinem Bungalow
anschleppt. Da das schwiegerelterliche Haus flächig mit Trophäen ausgekleidet ist, besteht ein hohes Risiko, Opfer einer weiteren weidlichen Schenkung zu werden. Wenn ich den Kram wenigstens bei
Ebay zu Geld machen könnte. Doch da würde der Sohn sicher Einwände haben.
Wenn er erwachsen ist, kann er sich den Krempel in seine Einraumwohnung hängen und versuchen, potentielle Beischlafgenossinnen damit zu beeindrucken. „Soll ich dir mal meine Trophäen zeigen,
Schätzchen?“ Mal schauen, ob die Mädels auf so was stehen. Es müssen ja nicht immer Briefmarken sein.
Auf die Sozialisation unseres Nachwuchses hat die Jägerei auch positive Einflüsse. Er hat einen großen Freundeskreis bewaffneter älterer Herren inklusive des Grafen v. d. S., da sein Opa ihn gern
zur Treibjagd, zum Schießübungsplatz oder zum Jagdhornblasen bei siebzigsten Geburtstagen mitnimmt. Der Sohn ist entsprechend selbst aktiver Jagdhornbläser. Er hält sich gern seine verbogene
Stofftierschlange vor den Mund, sagt „Papa, wir blasen jetzt!“ und tutet vor sich hin. Falls er das musikalische Talent seines Opas (der bläst professionell Jagdhorn, leitet den Volkschor und
hört Herbert Roth-Platten) geerbt hat, so wird er sich hoffentlich spätestens um die Pubertät herum dem guten alten Rock und Roll zuwenden, wie es ihm seine lieben Eltern vorleben. An der
musikalischen Früherziehung nimmt er bereits teil.
Die Jungjägerausbildung wird ihm sein Großvater zu gegebener Zeit unvermeidlich ans Herz legen. Ob er daran Freude hat, wird sich zeigen. Dass zu Hause und auf dem Friedhof nicht geschossen wird,
habe ich ihm immer wieder zu erklären versucht. Man wird sehen, ob es etwas genützt
hat.
P.S.: Mein Schwiegervater versuchte mir gerade in rücksichtsvollen Gesprächen die Schenkung eines Zehnenders unterzujubeln. Der Sohn wird sich sicher freuen und unsere Trophäenwand um ein
großartiges Stück reicher werden. Nur gut, das der Bär in Mitteldeutschland als ausgestorben gilt.
Wir erwägen deshalb, zukünftig Führungen durch unseren Korridor anzubieten – von der Wohnungstür bis kurz vor die Abstellkammer, wochentags von 16:00 bis 16:20 Uhr, Unkostenbeitrag 39 Cent,
Getränke und Wildwürstchen gehen natürlich extra. (HO)