Die Familie machte häufiger kleine Ausflüge in die Umgebung. Zu viert schlenderten sie durch die Heide, umrundeten Seen oder durchforsteten die Wälder hinter der Stadt. Dabei waren sie immer
besonders glücklich. Sie suchten am liebsten Wildkräuter, Pilze oder den Weg nach Hause. Manchmal stießen sie sogar auf Fundmunition, die sie vorsichtig mit sich nahmen, um sie in die Vorgärten
der doofen Nachbarn zu schmeißen. Dann warteten sie auf den Knall und wenn es ordentlich schepperte, freuten sie sich diebisch und lachten um die Wette.
Bei einer Wanderung durch den nahen Forst geschah jedoch etwas Ungewöhnliches. Denn ganz plötzlich vermissten sie die Mutti und ihren fröhlichen Gesang. Wo war sie nur geblieben? Eben ging sie
doch noch zwischen Sohn und Tochter und schlenkerte mit ihrem Pilzkörbchen. Nun war sie fort. War sie in einen zugewachsenen Bombenkrater gefallen? Hatte sie ein vagabundierender Strauchdieb mit
der Schlinge gefangen? Oder hatte sie einfach die Schnauze voll von der trauten Glücksseligkeit ihres langweiligen Haufens und sich heimlich in die Tiefe des Waldes geschlagen, um mit ihrem viel
jüngeren Liebhaber in ein Schwellenland jenseits des Ozeans aufzubrechen? Alles war möglich, dachten die Kinder. Lediglich der Vater schien vorerst unbesorgt zu sein und rief lediglich seine
hübsche Sekretärin an, um sich mit ihr für den Abend zu verabreden. Auf das Drängen der Kinder hin begannen sie schließlich die Suche nach der Verschollenen.
Sie suchten zuerst bei den gefürchteten Baumschweinen. Die Bache hatte ihren Nachwuchs beim leisesten Anzeichen menschlicher Gesellschaft in den Ästen der Bäume versteckt und war jederzeit
bereit, die kleine Gruppe mit ihrem widerlichen Gebiss zu zerreißen. Sie grunzte, fauchte und scharrte aufgeregt mit den Hufen.
Doch bei den Wildschweinen war die Mutti nicht zu finden. Weder lebendig, noch waren ihre zerfledderten Überreste auszumachen und die stinkenden Schweine hatten sie auch nicht gesehen oder
wollten es zumindest nicht zugeben. Also weitermachen.
Als nächstes suchten sie am Wildgehege der Hirsche nach ihr. Die Tiere waren friedliche Gesellen, das kleine Hirschkalb kam sofort an den Zaun und beschnupperte die Familie. Doch dann kam der
Hirsch himself heran, fuchtelte ein paarmal mit dem Geweih und die Menschen gingen auf Abstand. Verängstigt fragten sie nach einer tablettensüchtigen Frau mit einem leeren Weidenkörbchen. Jedoch
konnten auch die Hirsche keine vernünftige Aussage machen. Blödes Viehzeug, dachte der Vater. Alles Zeitverschwendung. Finden wir uns mit den Tatsachen ab, weg ist weg, was soll´s. Nur die Kinder
weinten bitterlich und flehten ihn an, die Suche noch nicht aufzugeben.
Sie gingen weiter, stolperten über Äste, verfingen sich im Gestrüpp, zerkratzten sich Gesichter und Hände an dornigen Sträuchern und schrundigen Bäumen. Sie kamen zum tollwütigen Eichhörnchen, welches so viele Pflanzensamen in den dicken Backentaschen manövrierte, das sein heilloses Gestammel nicht zu verstehen war. Der Vater wollte es deshalb mit seinem Taschenmesser töten, rutschte jedoch unglücklich ab und versetzte der Tochter eine tiefe Fleischwunde am Unterschenkel links. Das Geschrei konnte man kilometerweit hören.
So machten sie eine kurze Rast, verbanden das lädierte Bein mit Papis verschwitztem Unterhemd und aßen die letzten Butterbrote, welche die Mutti morgens geschmiert hatte. Die Gute, nun war sie verschwunden. Sie fragten die Eule, die kurz aus ihrem Mittagsschlaf aufschreckte und irgendwelches „uhuhu“ von sich gab. So ein Quatsch. Völlig sinnlos. Die Tiere sind alle so dumm, dachte der Vati.
Sie suchten weiter am kleinen Hügel und fanden natürlich wieder nichts. Keine Spur von Muttis Frisur, keine Kleidungsstücke, nicht einmal Blutspuren waren zu sehen. Mit ihren Pfennigabsätzen hätte sie tiefe Löcher in den Waldboden piksen müssen, in denen sich Ameisen reihenweise zu Tode gestürzt hätten. Doch der Boden war gänzlich unversehrt. Kein Hinweis auf teure Schuhe und ihre humpelnde Trägerin ersichtlich.
Was die Familie nicht sehen konnte – auf der anderen Seite des Hügels war eine kleine Höhle, aus der Muttis toupiertes Köpfchen ein kleines Stück heraus lugte. Sie lag dort benebelt in einem Fuchsbau. Ihre Beruhigungstabletten, die sie vorm Verlassen des Hauses mit geübter Hand eingeworfen hatte, rafften sie so plötzlich dahin, dass sie den Augen ihrer Familie ganz unversehens entschwunden war. Ein kleines Füchslein hatte sie als fette Beute in seinen nahen Bau geschleppt. Er wollte sie gerade mit seinem Bandwurm bekannt machen, als sie die müden Augen aufschlug und einen Schreckensruf von sich gab.
Ihre Familie eilte sofort herbei, fing den Fuchs und begann eine aufgeregte Diskussion über dessen Verbleib. Die Kinder wollten ihn streicheln, der Vater schächten und die Mutter lud ihn zum Essen ein. Am nächsten Wochenende sollte er sich bei ihnen in der Stadt melden, Sonntagvormittag um halb elf, wie sich das gehört. Dann wollten sie in ein sehr bekanntes Restaurant gehen, um dort die Wiederauferstehung der Hausherrin angemessen zu feiern.
Wovon der Fuchs nichts wusste, nichts wissen konnte, war die Tatsache, dass dieses Restaurant ein für seine exklusiven Fleischspeisen bekanntes asiatisches Etablissement war, welches zu allen Kreationen prächtige Beilagen zuzubereiten gewohnt war. So geriet der Fuchs nicht nur auf die Gästeliste, sondern eine Woche später auch auf die Speisekarte. Der Koch hatte ihn tagelang gekocht, dann in der Mikrowelle auf circa 1000°C erhitzt und schließlich mit feurig-scharfen Soßen übergossen. Als berüchtigte Infektionsquelle war der Fuchs nicht mehr auszumachen, er war völlig keimfrei, als er portioniert wurde und schmeckte angenehm nach nichts, als man ihn servierte. Alles war wieder in bester Ordnung und die Familie glücklich, wie an jedem Wochenende. Diese armen Penner. (HO)