Suppenkoma

„Es ist keine Kunst, ein ehrlicher Mann zu sein, wenn man täglich Suppe zu löffeln hat.“ (Heinrich Böll)

 

Wir arbeiten in der Marketingabteilung unserer Teilchenbeschleunigerhaupt-verwaltung rund um die Uhr, falls wir mal eine Bestellung aus Nordkorea oder ähnlich exotischen Ländern bekommen sollten, denn Schurkenstaaten liegen grundsätzlich in anderen Zeitzonen und sind deshalb zu normalen Geschäfts-zeiten anderweitig beschäftigt. Dennoch könnte uns ihre Finanzkraft zum Vorteil gereichen, weshalb unsere Geschäftsleitung einen Nachtdienst in unserem Strukturbereich für angebracht hält. Zwei Mitarbeiter unseres Teams verbringen die Nächte in relativer Ruhe in ihrem Büro und werden alle paar Stunden vom Nachtwächter auf einen kurzen Plausch besucht, während sie hochkonzentriert auf einen Anruf von ganz weit weg warten.

Um uns während der ganzen Warterei sinnvoll zu beschäftigen, fingen wir eines Nachts an, Gemüse zu schnippeln, Wasser zu kochen, Gewürze zu verpulvern und den Stabmixer meiner Frau zu ruinieren. Die türkische Linsensuppe, die wir in diesem Prozess zusammenkochten, war jedoch derart schmackhaft, dass selbst der Nachtwächter, der sonst wenig Interesse an ausländischen Spezialitäten verspürt, schmatzend und mit glasigen Augen eine zweite Portion verlangte.

Jedenfalls sage ich einige Tage später zu meiner Kollegin Nicole: „Höre, Nicole! Du hast doch keine Böcke zu melken und kaum Ausgaben. Die kleine Wohnung, das kleine Auto und deine kleinen Füße, das kost doch fast nix, da bleibt immer was übrig vom vielen Geld. Wie wäre es, wenn du dir einen kleinen Trecker und einen hübschen Anhänger kaufen würdest und dann machen wir da drin eine Suppenküche auf und stellen uns damit vor die Firma und verkaufen den Mitarbeitern, die ausgezehrt und unzufrieden von der Kantinenversorgung kommen, wochentäglich frische Suppe! Suppe ist gesünder als Nachtschicht.“ Da ist die Nicole natürlich ziemlich überrascht. „So eine schöne Idee!“, sagt sie. Wir verabreden uns für die nächsten Tage im Treckerladen und beim Zirkuswagenhändler, um die Angebote zu sichten und ich rate ihr auch zu einem Besuch bei ihrer Hausbank, wegen eines kleinen Kredites, ich würde derweil meinen dicken Aktenordner mit Suppenrezepten aus aller Welt einsehen und eine kleine Speisekarte erarbeiten.

Eigentlich sollten wir vorher ein Praktikum in der Gastronomie absolvieren, denn für eine richtige Kochausbildung fehlt uns natürlich Zeit und Muße. Doch wir bleiben wohl lieber überzeugte Autodidakten. Etwas kaufmännisches Geschwafel könnte ich aus meiner Vergangenheit noch zustande bringen, um dem Unternehmen etwas Solidität einzuhauchen. Und natürlich werden wir uns dringend gegen Schutzgeld impfen lassen. Diese Unsitte hat schließlich vielen Existenzgründern die Kalkulation versalzen. Als zukünftige Lebensmittelvermittler müssen wir ja sowieso zum Gesundheitsamt und Abstriche machen lassen, dann können wir die nötigen Impfungen sicher gleich mitnehmen. Oder vielleicht starten wir erstmal ohne offizielle Genehmigung, bei Zwangsprostitution braucht man ja auch keine Anmeldung. Mal sehen, wie die Suppe bzw. der Laden so läuft.

Nach fünfzehn Minuten Internetrecherche kaufen wir über Ebay einen bunten Trecker. In einem Kacknest bei Wanzleben im Hof eines Schweinezüchters im Ruhestand steht ein Belarus MTS 572 für uns bereit. Der sieht zwar ein wenig verwarzt aus, aber mit Fitwasser und Schmieröl scheint er durchaus noch zu retten. Wir treckern los und stellen ihn der Kollegin hinter den Plattenbau. Ihre ergrauten Nachbarn recken wissbegierig die Köpfe aus den Fenstern und wundern sich, doch wir lassen uns nichts anmerken. Sollen sie ruhig grübeln, bis die Wassertabletten anschlagen und sie zusätzlich aus dem Konzept bringen.

Dazu spendieren wir uns einen alten Imbissanhänger für ein paar hundert Euro, entsorgen die zerstückelte Leiche aus der Fritteuse im Wald, wischen dreimal durch, lackieren alles um und malen das Logo vorne auf unseren zukünftigen Stützpunkt. Einige Kochplatten reingestellt, Wasseranschluss vom Hydranten dran und die Jamie-Oliver-Küchenmaschine von meiner Frau kriegen wir unter der Woche auch ausgeliehen, ich hab da Beziehungen, dicke Töpfe gibt’s bestimmt beim Sperrmüll – fertig ist der Suppentempel! Irgendwo bekommen wir sicher eine ausgeleierte Metro-Karte geliehen, dann können wir die Zwiebeln im Zentnersack einkaufen und Kochschürzen mit lustigen Sprüchen näht die Nicole selber – fast wie geschenkt.

Wir planen drei unterschiedliche Suppen pro Tag und wenn die Töpfe alle sind ist Feierabend. Schnippeln ab um acht, Wasser rein ab neun, ausschenken ab elf, Geld zählen vierzehndreißig. Ein Schlag Suppe drei Euro - große Kelle, große Wirkung. Das klingt doch plausibel, oder? (HO)